Wohnen & Alltagstipps

Zwischen zwei Tassen lauwarmen Kaffee und einem angefangenen Kreuzworträtsel

Winterberg 2025. 8. 12. 18:13

Gestern Abend stand ich vor dem geöffneten Kühlschrank und hatte diesen Moment. Ihr kennt den bestimmt. Drei verschiedene Senfsorten, zwei angebrochene Sahnebecher, ein halbes Glas Oliven – aber keine Butter. Wie schafft man das? Markus kam dazu, schaute über meine Schulter und sagte nur: „Waren wir nicht gestern einkaufen?"

Waren wir. Mit Liste. Die Liste lag allerdings die ganze Zeit im Auto. Im Handschuhfach, um genau zu sein, wo sie uns ungefähr so viel genützt hat wie ein Regenschirm im Keller bei Gewitter.

Ich musste lachen, als mir das klar wurde. Dieses bittere Lachen, das man hat, wenn man eigentlich heulen könnte. Markus kennt das schon. Nach zwölf Jahren Ehe haben wir ein ganzes Repertoire an verschiedenen Lach-Arten entwickelt. Das „Wir-haben-schon-wieder-die-Liste-vergessen"-Lachen ist eines der häufigsten.

Dabei hatten wir uns so vorgenommen, organisierter zu werden. Neulich hab ich einen Artikel gelesen – in irgendeiner Zeitschrift im Wartezimmer beim Zahnarzt – da stand, dass der durchschnittliche Deutsche 21 Mal pro Jahr einkaufen geht und dabei jedes Mal etwa 15% mehr ausgibt als geplant. Bei uns sind es eher 50%. Mindestens. Vor allem wenn wir hungrig einkaufen gehen. Das ist wie eine Naturkatastrophe in Zeitlupe.

Die Psychologen nennen das übrigens „Impulskauf". Klingt harmlos, oder? Ist es aber nicht. Supermärkte sind darauf ausgelegt, uns zum Impulskauf zu verleiten. Die Platzierung der Produkte, die Beleuchtung, sogar die Musik – alles ist durchdacht. Wusstet ihr, dass in vielen Supermärkten langsame Musik läuft, damit wir langsamer durch die Gänge schlendern? Je länger wir drin sind, desto mehr kaufen wir. Fiese Masche.

Bei uns funktioniert das hervorragend. Letzte Woche zum Beispiel. Wir brauchten eigentlich nur Milch und Brot. Klassiker. Kann man sich merken, dachte ich. Anderthalb Stunden später standen wir mit drei vollen Tüten an der Kasse. Darin: Drei Sorten Chips (waren im Angebot), zwei Gläser Oliven (sahen so mediterran aus), eine Ananas (keine Ahnung warum), diverse Joghurts in Geschmacksrichtungen, die kein Mensch braucht, und – das ist mein persönlicher Favorit – eine Packung Quinoa.

Quinoa. Wir haben schon eine Packung Quinoa. Seit 2019. Ungeöffnet. „Vielleicht sollten wir mal was mit Quinoa machen", sagen wir regelmäßig. Machen wir aber nicht. Jetzt haben wir zwei Packungen. Für doppelt schlechtes Gewissen.

Die Sache mit der Liste ist eigentlich ganz einfach, theoretisch. Man schreibt auf, was man braucht, geht in den Laden, kauft genau das. Fertig. In der Praxis sieht das bei uns so aus: Samstagmorgen, Frühstück. Markus sitzt mit seinem zweiten Kaffee am Tisch, ich mit meinem ersten. „Wir müssen einkaufen", sage ich. „Mhm", macht er. Das ist seine Art zu sagen: Ich höre zu, will aber eigentlich meine Ruhe.

„Was brauchen wir denn?", frage ich. „Weiß nicht, guck mal im Kühlschrank." Ich gucke. „Milch vielleicht?" „Haben wir noch." „Die läuft morgen ab." „Dann Milch."

So geht das zwanzig Minuten. Am Ende haben wir eine Liste mit Sachen wie „Käse (der gute)", „das Zeug für Dienstag" und „irgendwas zum Abendessen". Sehr präzise. Sehr hilfreich.

Das mit dem „guten Käse" ist übrigens so eine Sache. Wir stehen dann an der Käsetheke – falls wir es überhaupt bis dahin schaffen ohne uns zu verlaufen – und wissen nicht mehr, welcher der gute war. War es der Gouda? Der Bergkäse? Der mit den Kräutern? Markus behauptet immer, es war der Manchego. Ich bin mir sicher, es war der Gruyère. Am Ende nehmen wir beide. Und noch den Camembert, weil der so lecker aussieht.

Zu Hause stellen wir dann fest: Wir mögen gar keinen Camembert. Aber er sah so französisch aus. So... sophisticated. Als würden wir jeden Abend Rotwein trinken und über Sartre diskutieren. Tun wir nicht. Wir trinken Bier und streiten uns, wer den Müll rausbringt.

Die Wissenschaft sagt übrigens, dass Listen tatsächlich helfen. Eine Studie der University of Pennsylvania hat gezeigt, dass Menschen mit Einkaufsliste durchschnittlich 23% weniger ausgeben. Aber – und das ist der Haken – nur wenn sie die Liste auch benutzen. Im Auto liegen lassen zählt nicht.

Wir haben schon alles Mögliche probiert. Die klassische Papierliste, die dann zerknittert in der Hosentasche landet und unleserlich wird. Die Notiz-App im Handy, bei der dann im Laden der Akku leer ist. Die geteilte Liste in dieser speziellen App, wo jeder was draufschreiben kann. Das war ein Disaster. Markus hat aus Spaß überall „Bier" draufgeschrieben. Sehr witzig. Bis er aus Versehen die ganze Liste gelöscht hat. An der Obsttheke. Wir standen da wie zwei Verlorene.

„Was hatten wir nochmal drauf?", fragte ich. „Keine Ahnung, du hast sie doch angefangen." „Aber du hast auch was dazu geschrieben!" „Ja, Bier." Super.

Das Verrückte ist: Selbst wenn wir die Liste dabeihaben und alles drauf abarbeiten, vergessen wir trotzdem was. Meistens das, weswegen wir ursprünglich los sind. Letzte Woche war's Klopapier. Wir hatten noch genau eine Rolle. Eine! Ich hatte extra „KLOPAPIER!!!" mit drei Ausrufezeichen auf die Liste geschrieben. Groß. Unterstrichen.

Haben wir's gekauft? Natürlich nicht. Das merkt man dann abends. In einem ungünstigen Moment. Markus musste zur Tankstelle. Vier Euro für eine Viererpackung. „Das ist Wucher!", hat er geschimpft. „Dann vergiss nächstes Mal nicht das Klopapier", hab ich gesagt. Das Gespräch eskalierte ein bisschen.

In anderen Ländern läuft das übrigens ganz anders. In Frankreich zum Beispiel gehen viele Menschen immer noch täglich einkaufen. Zum Bäcker, zum Metzger, auf den Markt. Alles frisch, alles vom Tag. Klingt romantisch, oder? Bei uns undenkbar. Wer hat denn bitte Zeit, jeden Tag einkaufen zu gehen?

Die Amerikaner haben das andere Extrem: Einmal die Woche Großeinkauf. Mit dem SUV zum Supermarkt, alles volladen, fertig. Die haben auch diese riesigen Kühlschränke, wo eine ganze Kuh reinpasst. Unser Kühlschrank ist... sagen wir mal, überschaubar. Wenn wir für eine Woche einkaufen würden, müssten wir die Hälfte auf dem Balkon lagern.

In Japan gibt es diese 24-Stunden-Convenience-Stores an jeder Ecke. Da kannst du um drei Uhr nachts noch schnell Milch holen. Oder ein komplettes Abendessen. Bei uns macht der Supermarkt um acht zu. Samstags. Um ACHT! Als wäre es 1985.

Was mir aufgefallen ist: Das Einkaufsverhalten sagt viel über eine Beziehung aus. Am Anfang, als wir frisch zusammen waren, war Einkaufen wie ein Date. Hand in Hand durch die Gänge, haben uns beraten, was wir kochen könnten. Haben Sachen gekauft, von denen wir nicht mal wussten, wie man sie zubereitet. Artischocken zum Beispiel. Oder Austern. Die Austern haben wir dann drei Wochen später weggeschmissen. Ungeöffnet. Aber hey, wir waren verliebt und mutig.

Jetzt? Jetzt ist Einkaufen wie... wie Zähneputzen. Muss gemacht werden, ist aber keine große Sache. Außer wenn wir uns in die Haare kriegen, weil einer meint, wir bräuchten keine dritte Packung Nudeln. „Der Schrank ist voll!", sagt Markus dann. Stimmt. Aber was, wenn die Apokalypse kommt? Dann sind wir froh über unsere Nudelvorräte.

Meine Schwester macht das ganz anders. Die plant ihre Mahlzeiten für die ganze Woche, schreibt eine detaillierte Liste und kauft exakt das ein. In zwanzig Minuten. Ich hasse sie dafür. Nein, nicht wirklich. Aber ein bisschen beneide ich sie schon. Bei uns dauert ein Einkauf mindestens anderthalb Stunden. Mit Liste! Ohne... lieber nicht drüber nachdenken.

Das liegt auch daran, dass wir uns von allem ablenken lassen. „Oh, guck mal, Erdbeeren!" „Aber es ist Oktober." „Ja, aber sie sehen so rot aus." Also kaufen wir Erdbeeren im Oktober. Für fünf Euro die Schale. Schmecken nach nichts, aber sie sahen so verführerisch aus.

Die Supermärkte wissen genau, was sie tun. Die Grundnahrungsmittel – Milch, Brot, Eier – sind immer ganz hinten. So muss man durch den ganzen Laden laufen. Vorbei an den Sonderangeboten, den Süßigkeiten, dem Wein. Ach ja, der Wein. „Wir haben doch noch Wein", sage ich. „Ja, aber der ist im Angebot", sagt Markus. „Drei für zwei!" Als ob wir eine Bar aufmachen wollten.

Es gibt übrigens einen Begriff dafür: „Choice Overload" – Entscheidungsüberlastung. Zu viele Optionen führen dazu, dass wir gar keine vernünftige Entscheidung mehr treffen können. Stellt euch vor: Es gibt durchschnittlich 50 verschiedene Joghurtsorten in einem normalen Supermarkt. FÜNFZIG! Kein Wunder, dass ich zehn Minuten vor dem Kühlregal stehe und am Ende doch wieder den nehme, den wir immer nehmen. Nachdem ich alle anderen angeschaut habe.

Letzte Woche hatte Markus eine neue Idee: „Lass uns doch einfach online bestellen. Dann können wir in Ruhe aussuchen, die Liste speichern und uns nicht ablenken lassen." Klingt gut, oder? Haben wir probiert. Zwei Stunden haben wir vor dem Laptop gesessen. Zwei Stunden! Haben diskutiert, ob wir die 500g oder die 1kg Packung nehmen. Ob Bio-Äpfel wirklich besser sind. Ob wir nicht doch lieber zum normalen Supermarkt fahren sollten, um die Tomaten anzufassen.

Am Ende war der Mindestbestellwert nicht erreicht. Also haben wir noch Zeug dazu gepackt. Zeug, das wir nicht brauchen. Drei Gläser Senf zum Beispiel. Weil sie im Angebot waren. Jetzt haben wir fünf Gläser Senf. Verschiedene Sorten. Falls mal jemand vorbeikommt, der wirklich, wirklich gerne Senf mag.

Das Ironische ist: Wir schmeißen auch regelmäßig Sachen weg. Laut Statistik wirft jeder Deutsche im Jahr 75 Kilogramm Lebensmittel weg. Das ist pervers, wenn man drüber nachdenkt. Bei uns ist es vor allem Gemüse. Wir kaufen es mit den besten Absichten. „Diese Woche essen wir gesund!", verkünden wir. Dann liegt der Brokkoli eine Woche im Gemüsefach und sieht aus wie ein Wissenschaftsexperiment.

„Wir sollten einen Wochenplan machen", sage ich dann. „Mit Rezepten und allem." „Machen wir", sagt Markus. Machen wir aber nicht. Weil das bedeuten würde, dass wir uns sonntags hinsetzen und planen müssten. Und sonntags wollen wir eigentlich nur auf dem Sofa liegen und Netflix schauen.

Gestern hatten wir wieder so einen klassischen Moment. Ich komme nach Hause, Markus steht in der Küche. „Was gibt's zum Abendessen?", frage ich. „Weiß nicht, was haben wir denn da?" Wir schauen in den Kühlschrank. Drei Sorten Senf, Oliven, eine halbe Gurke, irgendein Käse, der schon leicht grünlich schimmert.

„Nudeln?", schlage ich vor. „Hatten wir gestern." „Pizza bestellen?" „Hatten wir vorgestern."

Am Ende gab's Rührei. Mit der letzten Scheibe Brot. War eigentlich ganz lecker. Hätten wir Butter gehabt, wär's noch besser gewesen.

Heute gehen wir wieder einkaufen. Die Liste liegt schon bereit. Auf dem Küchentisch. Ich hab „MITNEHMEN!!!" in Großbuchstaben draufgeschrieben. Mit Leuchtstift markiert. Einen Pfeil gemalt.

Wetten, wir vergessen sie trotzdem?

Aber wisst ihr was? Irgendwie gehört das zu uns. Diese kleinen Katastrophen, über die wir uns erst aufregen und später lachen. Diese Momente, wo wir vor dem Senfregal stehen und uns fragen, ob wir wirklich noch ein Glas brauchen. (Spoiler: Wir kaufen es trotzdem.)

Vielleicht ist das der Punkt. Vielleicht geht es gar nicht darum, perfekt organisiert zu sein. Vielleicht sind diese chaotischen Einkaufstouren Teil unserer Geschichte. Unsere gemeinsamen Abenteuer im Supermarkt-Dschungel.

Und wenn alles schiefgeht, haben wir immer noch Nudeln. Und Senf. Sehr viel Senf.

Das muss reichen. Bis wir das nächste Mal einkaufen gehen. Mit Liste. Oder ohne. Mal sehen.