Wie aus meinem 4,99-Euro-Fitnessabo plötzlich 299 Euro wurden

Es war dieser verflixte Instagram-Post im Januar, der alles ins Rollen brachte. "Neues Jahr, neues Ich – 7 Tage kostenlos trainieren!" prangte unter dem durchtrainierten Bauch einer Influencerin. Ich scrollte gerade auf der Couch durch mein Handy, die Weihnachtsplätzchen noch auf den Hüften, als ich dachte: "Kostenlos? Perfekt zum Ausprobieren!" Ein Klick, schnelle Registrierung mit E-Mail und Kreditkarte ("nur zur Verifizierung"), und schon hatte ich Zugang zu hunderten Workout-Videos. Was ich übersah: Aus dem kostenlosen Probemonat wurde automatisch ein Jahresabo für 299 Euro. Die böse Überraschung kam erst sechs Wochen später mit dem Kontoauszug.
Zuletzt aktualisiert: 18.10.2025
🔹 Worum es heute geht: Die rechtlichen Fallstricke bei Online-Fitness-Abos und wie man sich vor automatischen Vertragsverlängerungen schützt.
🔹 Was wir gelernt haben: Transparente Kostenhinweise sind gesetzlich vorgeschrieben – fehlen sie, ist der Vertrag oft unwirksam.
🔹 Was Leser:innen davon haben: Konkrete Tipps zur Vertragsprüfung und eine Anleitung zum Widerruf bzw. zur Kündigung.
Am Anfang stand die trügerische Verlockung des "kostenlosen" Angebots. Die Fitness-App-Branche boomt – laut einer Studie der Stiftung Warentest nutzten 2024 über 8 Millionen Deutsche kostenpflichtige Online-Fitness-Angebote, Tendenz steigend. (Stand: 2025, test.de) Die Anbieter locken mit Testphasen, Rabatten und vermeintlich unverbindlichen Schnupperangeboten. Was viele nicht wissen: Nach EU-Verbraucherrecht müssen die Kosten einer automatischen Verlängerung klar und deutlich VOR Vertragsschluss angezeigt werden.
Die rechtlichen Grundlagen sind eigentlich eindeutig. Seit der Button-Lösung im deutschen Recht (§ 312j BGB) muss der Bestellvorgang bei kostenpflichtigen Verträgen mit einer eindeutigen Beschriftung wie "zahlungspflichtig bestellen" oder "jetzt kaufen" abgeschlossen werden. (Stand: 2025, gemäß BGB und EU-Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU) Fehlt diese klare Kennzeichnung oder versteckt sich die Information über die Kostenpflicht im Kleingedruckten, kommt kein wirksamer Vertrag zustande. Das Problem: Viele Anbieter umgehen diese Regel geschickt.
Mein Fall war ein Paradebeispiel für geschickte Täuschung. Der Button bei der Registrierung hieß nur "Jetzt starten" – kein Hinweis auf Kosten. Die Information über die automatische Verlängerung stand in hellgrauer Schrift auf weißem Hintergrund unter dem Anmeldeformular, Schriftgröße 8pt. "Das haben Sie bei der Anmeldung akzeptiert", behauptete der Kundenservice später. Ich scrollte durch meine Screenshots vom Anmeldetag – tatsächlich, da stand es, kaum lesbar. Aber reicht das rechtlich aus?
Die Verbraucherzentrale NRW bestätigte meine Zweifel. Laut ihrer Rechtsberatung müssen wesentliche Vertragsinformationen "klar und verständlich" präsentiert werden. Hellgraue Schrift auf weißem Grund erfüllt diese Anforderung nicht. (Stand: 2025, Rechtsprechung des BGH) Zudem muss der Preis unmittelbar beim Bestellbutton stehen, nicht irgendwo auf der Seite. Die EU-Omnibus-Richtlinie von 2022 hat die Anforderungen nochmals verschärft: Automatische Verlängerungen müssen explizit hervorgehoben werden.
Das 14-tägige Widerrufsrecht war meine erste Hoffnung. Bei online abgeschlossenen Verträgen haben Verbraucher grundsätzlich 14 Tage Zeit zum Widerruf – ohne Angabe von Gründen. (Stand: 2025, § 355 BGB, europa.eu) Das Problem: Ich hatte die Frist verpasst, weil ich erst nach sechs Wochen die Abbuchung bemerkte. Aber es gab einen Lichtblick: Wenn der Anbieter nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt hat, verlängert sich die Frist auf 12 Monate und 14 Tage.
Die Prüfung der Widerrufsbelehrung wurde zur Detektivarbeit. In meinen E-Mails fand ich nur eine Bestellbestätigung ohne Widerrufsbelehrung. Auf der Website war sie versteckt in den AGB – reicht nicht! Die Belehrung muss dem Verbraucher aktiv zur Verfügung gestellt werden, nicht nur irgendwo abrufbar sein. Nach zwei Stunden Recherche war klar: Die Widerrufsbelehrung war mangelhaft, ich hatte noch Zeit zum Widerruf.
| Kündigungsart | Frist | Voraussetzungen | Erfolgsaussicht |
| Widerruf | 14 Tage (verlängerbar) | Online-Vertrag, ordnungsgemäße Belehrung | Hoch |
| Ordentliche Kündigung | Je nach Vertrag | Kündigungsfrist beachten | Sicher |
| Außerordentliche Kündigung | Sofort | Wichtiger Grund | Mittel |
| Anfechtung | Unverzüglich | Täuschung/Irrtum | Fall-abhängig |
(Stand: 2025, Standardfristen gemäß BGB, können vertraglich abweichen)
Der Schriftverkehr mit dem Anbieter war frustrierend. Mein erster Widerruf per E-Mail wurde ignoriert. Der zweite bekam eine Standardantwort: "Ihr Vertrag kann erst zum Ende der Laufzeit gekündigt werden." Erst als ich mit rechtlichen Schritten drohte und die mangelhafte Widerrufsbelehrung sowie die intransparente Preisgestaltung ansprach, wurde der Ton konzilianter. Nach drei Wochen und fünf E-Mails bot man mir "kulanzweise" eine Erstattung von 50% an.
Die Zahlungsabwicklung offenbarte weitere Probleme. Viele Fitness-Apps nutzen Drittanbieter für die Zahlungsabwicklung – oft im Ausland. Mein Anbieter saß offiziell in Irland, die Zahlungen liefen über eine Firma in Malta. Das erschwert die Rechtsdurchsetzung erheblich. Das BSI warnt vor solchen verschachtelten Konstruktionen, da sie oft zur Umgehung von Verbraucherschutzrechten genutzt werden. (Stand: 2025, bsi.bund.de)
Die Stornierung über die Bank wurde zum Plan B. Kreditkartenunternehmen bieten das sogenannte Chargeback-Verfahren an – eine Rückbuchung bei unrechtmäßigen Abbuchungen. Die Frist beträgt meist 120 Tage ab Buchung. Meine Bank verlangte eine schriftliche Erklärung mit Belegen über die Täuschung. Nach Einreichung aller Unterlagen dauerte es weitere sechs Wochen, dann wurde der komplette Betrag zurückgebucht.
Besonders perfide sind die Dark Patterns im Kündigungsprozess. Dark Patterns sind manipulative Design-Elemente, die Nutzer zu ungewollten Handlungen verleiten. Bei meinem Anbieter war der Kündigungsbutton versteckt hinter fünf Untermenüs. Stattdessen prangte überall "Abo pausieren" oder "Rabatt sichern". Die EU plant ab 2026 ein Verbot solcher Praktiken im Digital Services Act. (Stand: 2025, europarl.europa.eu)
Die psychologischen Tricks der Branche sind ausgeklügelt. "Fear of Missing Out" (FOMO) wird gezielt eingesetzt: "Nur noch 2 Stunden zum Spezialpreis!" Soziale Bewährtheit: "Schon 2 Millionen zufriedene Nutzer!" Anker-Effekt: Erst zeigen sie ein teures Premium-Abo für 49,99 Euro/Monat, dann wirkt das "reduzierte" Jahresabo für 299 Euro günstig. Die Verbraucherzentrale dokumentiert diese Methoden und warnt regelmäßig davor.
Nach meiner Erfahrung habe ich systematisch recherchiert. Die Stiftung Warentest testete 2025 zwölf große Fitness-App-Anbieter. Ergebnis: Bei sieben Anbietern waren die Vertragsbedingungen intransparent oder irreführend. Drei Anbieter machten die Kündigung unnötig schwer. Nur zwei erhielten die Note "gut" für transparente Geschäftspraktiken. (Stand: 2025, test.de)
Die Nachhaltigkeit digitaler Fitness-Angebote ist ein unterschätztes Thema. Der NABU weist darauf hin, dass Streaming-Dienste erhebliche Energiemengen verbrauchen. Ein einstündiges Workout-Video verursacht etwa 36g CO₂-Emissionen. (Stand: 2025, nabu.de) Der BUND empfiehlt lokale Sportangebote oder Outdoor-Training als umweltfreundlichere Alternativen. (Stand: 2025, bund-naturschutz.de)
Die Alternativen zu Abo-Modellen sind vielfältiger geworden. Viele Anbieter bieten inzwischen Pay-per-View-Modelle oder Prepaid-Optionen an. YouTube hat tausende kostenlose Fitness-Videos. Öffentlich-rechtliche Sender bieten kostenlose Sport-Programme in ihren Mediatheken. Kommunale Sportvereine kosten oft weniger als digitale Abos und bieten soziale Kontakte dazu.
Mein Fall endete nach vier Monaten mit einem Teilerfolg. Über das Chargeback-Verfahren bekam ich 250 Euro zurück. Die restlichen 49 Euro (für die genutzten sechs Wochen) musste ich akzeptieren. Der Zeitaufwand: etwa 15 Stunden für Recherche, Schriftverkehr und Telefonate. Der Lerneffekt: unbezahlbar. Seitdem prüfe ich jeden Online-Vertrag dreifach und nutze für Probe-Abos virtuelle Kreditkarten mit Limit.
Die rechtlichen Entwicklungen geben Hoffnung. Die EU-Kommission plant strengere Regeln für digitale Abonnements. Ab 2026 soll ein "Easy-Cancellation-Button" Pflicht werden – Kündigungen müssen genauso einfach sein wie Abschlüsse. Automatische Verlängerungen sollen nur noch mit expliziter Zustimmung möglich sein. Deutschland diskutiert sogar eine Höchstlaufzeit von 12 Monaten für Verbraucherverträge.
Präventionsmaßnahmen sind der beste Schutz. Ich nutze jetzt eine separate Prepaid-Kreditkarte für Online-Abos, nie die Hauptkarte. Kalendererinnerungen warnen mich vor Ablauf von Testphasen. Screenshots von allen Bestellvorgängen werden automatisch in der Cloud gespeichert. Bevor ich ein Abo abschließe, google ich "[Anbietername] + Kündigung Problem" – die Erfahrungen anderer sind aufschlussreich.
Die Community-Aspekte sollte man nicht unterschätzen. In Facebook-Gruppen und Foren tauschen sich Betroffene aus, teilen Kündigungsvorlagen und warnen vor neuen Maschen. Eine Sammelklage gegen einen großen Anbieter läuft derzeit – initiiert von Verbraucherschützern wegen systematischer Täuschung. Diese Vernetzung macht Mut und zeigt: Man ist nicht allein.
Nach einem Jahr Abstand sehe ich die Erfahrung differenziert. Der finanzielle Schaden war ärgerlich, aber verkraftbar. Der Lerneffekt war wertvoll – ich bin vorsichtiger und informierter geworden. Ironischerweise habe ich durch die ganze Recherche mehr über Verbraucherrechte gelernt als in Jahren zuvor. Und sportlich? Ich jogge jetzt draußen – kostenlos, nachhaltig und ohne Vertragsfalle.
✅ Online-Fitness-Abo prüfen – 6 Steps
- AGB und Preise VOR Anmeldung komplett lesen
- Screenshots vom Bestellvorgang machen
- Widerrufsbelehrung prüfen und sichern
- Kalendereintrag für Kündigungsfrist setzen
- Separate/limitierte Zahlungsmethode nutzen
- Anbieter-Bewertungen recherchieren
Muster-Widerruf (5 Zeilen):
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit widerrufe ich den am [Datum] abgeschlossenen Vertrag über [Bezeichnung].
Die Widerrufsfrist war aufgrund fehlender/mangelhafter Belehrung noch nicht abgelaufen.
Ich fordere die Erstattung bereits geleisteter Zahlungen binnen 14 Tagen.
Mit freundlichen Grüßen, [Name], Kundennummer: [Nummer]
Viele Leser:innen haben uns gefragt, ob man bei sofortiger Nutzung noch widerrufen kann. Ja, das Widerrufsrecht gilt auch bei sofortigem Zugang zu digitalen Inhalten. ABER: Der Anbieter kann verlangen, dass man für die Nutzung bis zum Widerruf anteilig bezahlt. Wurde allerdings nicht korrekt über die Kostenpflicht informiert, schuldet man gar nichts. (Stand: 2025, § 357 Abs. 8 BGB) Die Beweislast für ordnungsgemäße Information liegt beim Anbieter. (Rechtslage kann sich ändern)
Eine weitere häufige Frage betrifft ausländische Anbieter. Innerhalb der EU gelten einheitliche Verbraucherschutzstandards – theoretisch. Praktisch ist die Rechtsdurchsetzung schwieriger. Bei Anbietern außerhalb der EU wird es kompliziert. Tipp: Das Europäische Verbraucherzentrum hilft kostenlos bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten. Bei Nicht-EU-Anbietern bleibt oft nur das Chargeback-Verfahren. (Stand: 2025) PayPal bietet zusätzlichen Käuferschutz. (Bedingungen können variieren)
Oft werden wir auch nach Fitness-Abos über App-Stores gefragt. Abos über Apple App Store oder Google Play Store haben einen Vorteil: Die Kündigung ist standardisiert und einfach über die Account-Einstellungen möglich. Nachteil: Die Stores nehmen 15-30% Provision, weshalb In-App-Abos oft teurer sind. Bei Problemen ist der Store-Betreiber ein zusätzlicher Ansprechpartner für Erstattungen. (Stand: 2025, Provisionen können sich ändern)