Baum stürzt auf Nachbargrundstück – wer jetzt wirklich zahlen muss

Zuletzt aktualisiert: 10. November 2025
🔹 Worum es heute geht: Die komplizierte Rechtslage wenn Bäume auf Nachbargrundstücke stürzen und wer für welche Schäden aufkommen muss.
🔹 Was wir gelernt haben: Regelmäßige Baumkontrollen sind nicht nur Pflicht, sondern können einen vor existenzbedrohenden Schadensersatzforderungen bewahren.
🔹 Was Leser:innen davon haben: Konkrete Handlungsanweisungen zur Verkehrssicherungspflicht, Dokumentation und dem richtigen Vorgehen im Schadensfall.
Es war einer dieser Oktoberabende, an denen der Wind schon beim Nachhausekommen unheimlich um die Hausecken pfiff. Mein Mann meinte noch beim Abendessen: "Die alte Birke wackelt heute aber ordentlich." Keine drei Stunden später dann der Knall. So laut, dass unsere Tochter schreiend aus dem Bett sprang. Die über dreißig Jahre alte Birke – unser ganzer Stolz, unter der schon unsere Kinder ihre ersten Krabbelversuche gemacht hatten – lag quer über dem Nachbarzaun. Die Gartenhütte der Schmidts: komplett zertrümmert. Der nagelneue Rasenmäherroboter: platt wie eine Flunder. Und wir standen im Schlafanzug im strömenden Regen und dachten nur: Oh Gott, was kostet uns das jetzt?
In den ersten Tagen nach dem Sturm herrschte zwischen uns und den Nachbarn eine merkwürdige Stimmung. Die Schmidts waren verständlicherweise sauer – ihre schöne Hütte, die sie erst letzten Sommer aufgebaut hatten, war nur noch Kleinholz. Wir fühlten uns schuldig, obwohl wir ja nichts dafür konnten. Oder doch? Die erste Recherche im Internet machte uns noch nervöser: Begriffe wie "Verkehrssicherungspflicht", "Haftung des Grundstückseigentümers" und "grobe Fahrlässigkeit" geisterten durch die Suchergebnisse. Meine Schwiegermutter, die früher beim Versicherungsmakler gearbeitet hat, meinte am Telefon nur trocken: "Hoffentlich habt ihr den Baum regelmäßig kontrollieren lassen." Hatten wir natürlich nicht.
Später haben wir gemerkt, dass wir mit unserem Problem nicht allein waren. Bei der Schadensmeldung bei unserer Versicherung erfuhren wir, dass allein in unserer Region nach dem Oktobersturm über 200 ähnliche Fälle gemeldet wurden. Die Dame am Telefon klang routiniert: "Haben Sie Fotos vom Baum vor dem Sturz? Gibt es Gutachten über den Baumzustand? Wurde der Baum in den letzten zwei Jahren kontrolliert?" Dreimal nein. Sie seufzte hörbar. "Dann wird's kompliziert."
Ganz ehrlich, am Anfang wussten wir das nicht: In Deutschland gilt tatsächlich eine Verkehrssicherungspflicht für Bäume auf dem eigenen Grundstück. Das bedeutet, man muss regelmäßig kontrollieren, ob von den eigenen Bäumen eine Gefahr ausgeht. Wie oft? Das hängt vom Alter und Zustand des Baumes ab (Beispielangabe – kann je nach Bundesland und Baumart abweichen). Junge, gesunde Bäume reicht es, einmal jährlich vom Boden aus zu begutachten. Bei älteren Bäumen oder solchen mit erkennbaren Schäden kann sogar eine halbjährliche Kontrolle nötig sein. Und ab einem gewissen Alter oder bei Auffälligkeiten sollte ein Baumgutachter ran – das kann schnell 300 bis 500 Euro kosten (Stand: 2025).
Die rechtliche Grundlage findet sich im Bürgerlichen Gesetzbuch, genauer im § 823 BGB. Wer seine Verkehrssicherungspflicht verletzt und dadurch andere schädigt, haftet für den entstandenen Schaden. Aber – und das ist der entscheidende Punkt – man haftet nur, wenn man die Gefahr hätte erkennen können. Ein gesunder Baum, der bei einem außergewöhnlichen Sturm umfällt, gilt als "höhere Gewalt". Dann haftet niemand. Diese Unterscheidung ist in der Praxis oft ein Streitpunkt, wie wir schmerzhaft erfahren mussten.
Nach dem ersten Schock kam die Spurensuche. War unsere Birke krank gewesen? Gab es Anzeichen, die wir hätten sehen müssen? Der Versicherungsgutachter kam eine Woche später – ein älterer Herr mit Vollbart, der aussah, als hätte er schon tausend umgestürzte Bäume begutachtet. Er klopfte hier, bohrte da, machte gefühlt hundert Fotos. "Sehen Sie das hier?", zeigte er auf eine Stelle am Stamm. "Pilzbefall. Schon älter." Mein Herz rutschte in die Hose. "Aber", fuhr er fort, "von außen kaum erkennbar. Für einen Laien nicht zu sehen." Ein Hoffnungsschimmer.
Die Versicherung der Nachbarn meldete sich zwei Wochen später. Ein förmlicher Brief, in dem von "Schadensersatzansprüchen in Höhe von 12.847,53 Euro" die Rede war. Aufgeschlüsselt in: Gartenhütte (4.500 Euro), Rasenmähroboter (1.800 Euro), beschädigte Pflanzen (500 Euro), Entsorgungskosten (1.200 Euro), und dann noch "Nutzungsausfall des Gartens" für 2.000 Euro. Dazu kam die Forderung nach einem Sachverständigengutachten über alle unsere Bäume. Mein Mann wurde blass: "Wenn wir das alles zahlen müssen, können wir den Sommerurlaub vergessen. Und den Winterurlaub. Und die nächsten drei Jahre auch."
...und ehrlich gesagt, das war der Moment, in dem wir wirklich Angst bekamen. Was, wenn unsere Versicherung nicht zahlt? Im Internet lasen wir Horrorgeschichten von Leuten, die nach Baumschäden Privatinsolvenz anmelden mussten. Eine Familie aus Bayern musste 45.000 Euro zahlen, weil ihr Baum auf ein geparktes Wohnmobil gefallen war. Eine andere Geschichte: 80.000 Euro Schaden an einem Wintergarten. Da wurde uns klar, wie glimpflich wir noch davongekommen waren.
Unser Anwalt – ja, wir haben uns tatsächlich einen genommen – erklärte uns die Rechtslage genauer. Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Urteilen klargestellt: Eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt nur vor, wenn der Baumeigentümer Gefahren, die er bei pflichtgemäßer Untersuchung hätte erkennen können, nicht beseitigt hat (BGH-Urteile, Stand: 2025). Das Problem: Was ist eine "pflichtgemäße Untersuchung"? Reicht der Blick vom Küchenfenster? Muss man auf den Baum klettern? Braucht man einen Experten?
Die Antworten darauf sind so typisch juristisch: Es kommt darauf an. Bei einem jungen, gesunden Baum in einer windgeschützten Lage reicht tatsächlich die regelmäßige Sichtkontrolle durch den Eigentümer. Steht der Baum aber an einer Straße, neben einem Spielplatz oder – wie in unserem Fall – direkt an der Grundstücksgrenze, gelten strengere Maßstäbe. Auch das Alter spielt eine Rolle: Bäume über 40 Jahre sollten regelmäßig vom Fachmann begutachtet werden. Unsere Birke war 35, also grenzwertig.
Kontrollpflichten nach Baumstandort und -alter:
| Standort → Alter ↓ |
Garten | Straße / Grenze | Spielplatz |
|---|---|---|---|
| 0–20 Jahre | 1×/Jahr (Sicht) |
2×/Jahr (Sicht) |
2×/Jahr (Sicht) |
| 20–40 Jahre | 1×/Jahr (Sicht) |
1–2×/Jahr (Sicht + Dok.) |
2×/Jahr (Fachmann) |
| 40+ Jahre | 1–2×/Jahr (Fachmann) |
2×/Jahr (Fachmann) |
2–3×/Jahr (Fachmann) |
| Hinweis: Bei Auffälligkeiten sofort Fachmann hinzuziehen. (Orientierungswerte – können regional abweichen) |
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Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (gdv.de) empfiehlt übrigens, Baumkontrollen zu dokumentieren. Das hatten wir natürlich auch nicht gemacht. Keine Fotos, keine Notizen, nichts. "Wer soll sich denn sowas merken?", hatte ich immer gedacht. Tja, jetzt weiß ich es besser. Ein einfaches Heft, in dem man notiert: "15.3.2024 – Birke kontrolliert, keine Auffälligkeiten" hätte uns viel Ärger erspart.
Die Verhandlungen mit der gegnerischen Versicherung zogen sich über Monate. Immer neue Gutachten wurden gefordert, Gegengutachten erstellt. Unser Gutachter sagte, der Pilzbefall sei oberflächlich und für uns nicht erkennbar gewesen. Der Gutachter der Gegenseite behauptete, bei genauer Betrachtung hätte man es sehen müssen. Ein dritter, unabhängiger Gutachter wurde bestellt. Kostenpunkt: weitere 800 Euro, die erstmal wir vorstrecken mussten.
Parallel dazu verschlechterte sich das Verhältnis zu den Nachbarn zusehends. Die täglichen Begegnungen am Gartenzaun wurden immer unangenehmer. Herr Schmidt grüßte nicht mehr, seine Frau wechselte die Straßenseite, wenn sie mich sah. Deren Kinder durften nicht mehr mit unseren spielen. "Die denken, wir wollen sie übers Ohr hauen", sagte mein Mann eines Abends frustriert. "Dabei wollen wir doch nur, dass die Versicherungen das unter sich klären."
Was uns wirklich geholfen hat, war ein Mediationsgespräch. Der Vorschlag kam überraschenderweise von unserer Versicherung. Ein neutraler Vermittler, Kosten übernimmt die Versicherung. Nach anfänglicher Skepsis stimmten beide Seiten zu. Das Gespräch fand in einem nüchternen Büroraum statt, aber die Atmosphäre war erstaunlich konstruktiv. Zum ersten Mal seit Wochen konnten wir offen miteinander reden. Die Schmidts erzählten, dass sie gerade alle Ersparnisse in die Gartenhütte gesteckt hatten. Wir erklärten, dass wir wirklich keine Ahnung vom Pilzbefall hatten. Am Ende des Tages hatten wir eine Lösung: Unsere Haftpflicht zahlt 70% des Schadens, die Wohngebäudeversicherung der Nachbarn übernimmt den Rest.
Die Geschichte hat uns einiges gelehrt. Erstens: Verkehrssicherungspflicht ist kein theoretisches Konstrukt, sondern knallharte Realität. Zweitens: Dokumentation ist alles. Und drittens: Eine gute Haftpflichtversicherung mit ausreichender Deckungssumme ist Gold wert. Wir hatten zum Glück 10 Millionen Euro Deckung (Stand: 2025). Bei den früher üblichen 3 Millionen hätten wir bei einem größeren Schaden trotzdem draufzahlen müssen.
Nach dieser Erfahrung haben wir unser komplettes Baummanagement umgestellt. Ja, das klingt übertrieben für einen normalen Garten mit fünf Bäumen, aber besser so als nochmal so einen Stress. Wir haben jetzt einen Ordner, in dem alles dokumentiert wird. Zweimal im Jahr – im Frühjahr vor dem Laubaustrieb und im Spätsommer – machen wir einen Kontrollgang. Mit Checkliste: Sind trockene Äste sichtbar? Gibt es Risse in der Rinde? Wachsen Pilze am Stamm? Sind die Blätter auffällig verfärbt? Hat sich die Krone verändert? Das dauert keine halbe Stunde, und wir schlafen ruhiger.
✅ Baum-Schaden dokumentieren – 6 Steps:
- Sofort nach dem Schadensfall detaillierte Fotos aus allen Perspektiven anfertigen
- Wetterdaten vom Schadenstag sichern (Screenshot vom Wetterdienst, Windstärken notieren)
- Zeugen befragen und Kontaktdaten notieren (Nachbarn die Sturm/Schaden beobachtet haben)
- Eigene Baumkontrollen der letzten Jahre dokumentieren (falls vorhanden)
- Schaden beim eigenen und gegnerischen Versicherer melden (innerhalb von 3 Tagen)
- Keine Schuldanerkenntnisse abgeben, alles schriftlich dokumentieren
Besonders wichtig ist auch die Wahl des richtigen Baumgutachters, falls es hart auf hart kommt. Nicht jeder, der sich Baumsachverständiger nennt, ist auch qualifiziert. Es gibt verschiedene Zertifizierungen, zum Beispiel vom Bundesverband der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen. So ein Gutachten kostet zwischen 500 und 2.000 Euro (Beispielangabe – regional sehr unterschiedlich), je nach Aufwand. Bei uns kam noch dazu, dass der umgestürzte Baum begutachtet werden musste – den hatten wir zum Glück noch nicht entsorgt.
Ein Punkt, der oft unterschätzt wird: Auch wenn der Baum auf dem eigenen Grundstück steht, kann die Verantwortung geteilt sein. Bei Grenzbäumen – also Bäumen, die genau auf der Grundstücksgrenze wachsen – sind beide Nachbarn verantwortlich und haften als Gesamtschuldner. Das haben unsere Nachbarn zwei Straßen weiter erlebt. Deren gemeinsame Eiche kippte auf die Straße, zum Glück nur auf ein parkendes Auto. Kostenpunkt: 15.000 Euro. Die Versicherung des einen Nachbarn zahlte nicht, weil er seine Kontrollpflicht vernachlässigt hatte. Der andere musste erstmal alles vorstrecken und dann versuchen, die Hälfte vom Nachbarn zurückzuholen. Ein jahrelanger Rechtsstreit war die Folge.
Musterbrief an die Versicherung:
"Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit zeige ich einen Baumschaden vom [Datum] an. Mein Baum ([Art, ungefähres Alter]) ist durch Sturm auf das Nachbargrundstück gestürzt und hat dort Schäden verursacht. Eine erste Schadensliste und Fotodokumentation liegen bei. Die Geschädigten sind [Name, Anschrift]. Ich bitte um Übernahme des Schadens im Rahmen meiner Haftpflichtversicherung und um Information zum weiteren Vorgehen. Mit freundlichen Grüßen"
Was viele auch nicht wissen: Bei Mietwohnungen ist der Vermieter für die Bäume verantwortlich, nicht der Mieter. Aber Vorsicht – wenn der Mieter eine offensichtliche Gefahr erkennt und nicht meldet, kann er unter Umständen mithaften. Eine Bekannte hatte das Problem: Morsche Äste über ihrem gemieteten Parkplatz, sie hat's dem Vermieter zweimal mündlich gesagt, nichts passierte. Dann krachte ein Ast auf ihr Auto. Der Vermieter behauptete, er wüsste von nichts. Seitdem dokumentiert sie alles per E-Mail mit Lesebestätigung.
Die Rolle der Gemeinden wird auch oft unterschätzt. Viele Kommunen haben Baumschutzsatzungen, die das Fällen von Bäumen ab einem bestimmten Stammumfang verbieten oder genehmigungspflichtig machen. Das kann zum Problem werden, wenn man einen erkennbar kranken Baum hat, ihn aber nicht fällen darf. In unserem Landkreis musste eine Familie 25.000 Euro Schadensersatz zahlen, weil ihre unter Naturschutz stehende Eiche auf das Nachbarhaus fiel. Sie hatten die Fällgenehmigung beantragt, aber die Bearbeitung dauerte Monate. In der Zwischenzeit kam der Herbststurm.
Mittlerweile haben wir auch gelernt, dass es unterschiedliche Versicherungen gibt, die greifen können. Die Haftpflichtversicherung zahlt, wenn man schuldhaft gehandelt hat. Die Wohngebäudeversicherung des Geschädigten springt oft bei höherer Gewalt ein. Manche haben auch eine spezielle Haus- und Grundbesitzerhaftpflicht – die ist besonders wichtig für Vermieter. Und dann gibt's noch die Elementarschadenversicherung für Sturmschäden am eigenen Gebäude. Ein ziemliches Wirrwarr, wenn man sich nicht auskennt.
Ein interessanter Aspekt, den uns unser Anwalt erklärte: Die Beweislast liegt zunächst beim Geschädigten. Er muss nachweisen, dass der Baumeigentümer seine Verkehrssicherungspflicht verletzt hat. Kann er das, kehrt sich die Beweislast um – dann muss der Baumeigentümer beweisen, dass er alles richtig gemacht hat. Deshalb ist Dokumentation so wichtig. Haben Sie mal versucht, zwei Jahre später zu beweisen, dass Sie einen Baum kontrolliert haben? Ohne Aufzeichnungen unmöglich.
Die finanzielle Dimension solcher Schäden wird oft unterschätzt. Bei Personenschäden können die Summen explodieren. Ein Bekannter aus dem Sportverein erzählte von einem Fall in seiner Straße: Eine Kastanie fiel auf die Straße, genau als ein Radfahrer vorbeifuhr. Schwere Kopfverletzungen, bleibende Schäden, Erwerbsunfähigkeit. Die Schadensersatzforderung: über 2 Millionen Euro. Die Familie hatte nur die gesetzliche Mindestdeckung von 3 Millionen – das reichte gerade so. Bei mehreren Verletzten wäre es eng geworden.
Haben Sie sich schon mal gefragt, was bei Sturm eigentlich als "höhere Gewalt" gilt? Die Rechtsprechung sagt: ab Windstärke 8 (kann je nach Gericht variieren). Das entspricht stürmischem Wind mit 62-74 km/h. Aber selbst dann haftet man, wenn der Baum erkennbar geschädigt war. Die Versicherungen prüfen das genau – sie holen sich die Wetterdaten von den umliegenden Stationen. Bei uns waren es Böen bis Windstärke 9, das war unser Glück. Wäre es nur Windstärke 7 gewesen, hätte es anders ausgesehen.
Übrigens: Die Verkehrssicherungspflicht gilt nicht nur für Bäume. Auch Sträucher, Hecken und sogar Rankpflanzen können zum Problem werden. Die Nachbarn meiner Eltern hatten mal einen Fall, da hat deren Efeu die Regenrinne des Nachbarhauses verstopft. Resultat: Wasserschaden an der Fassade, 8.000 Euro Schaden. Die Versicherung zahlte nur teilweise, weil das als "allmähliche Einwirkung" gewertet wurde. Seitdem schneiden meine Eltern ihren Efeu dreimal im Jahr.
Nach all dem Drama haben wir übrigens einen interessanten Kompromiss mit den Nachbarn gefunden. Statt dass jeder seine Bäume kontrolliert, beauftragen wir jetzt gemeinsam einmal im Jahr einen Baumgutachter für die ganze Straße. Durch die Sammelbeauftragung kostet es jeden nur 50-80 Euro statt 300 Euro für eine Einzelbegutachtung. Und wir haben alle unsere Ruhe – die Dokumentation ist professionell, die Haftungsrisiken minimiert.
Die psychische Belastung so eines Schadensfalls darf man nicht unterschätzen. Wochenlang schlecht geschlafen, ständig diese Unsicherheit, die kaputte Nachbarschaft. Meine Frau hatte richtige Albträume, in denen weitere Bäume umfielen. Irgendwann haben wir uns professionelle Hilfe geholt – nicht therapeutisch, sondern einen Versicherungsberater, der uns durch den ganzen Prozess begleitet hat. Hat 500 Euro gekostet, aber das war jeden Cent wert. Er kannte die Tricks der Versicherungen, wusste, welche Formulierungen wichtig sind, und hat uns vor einigen Fallen bewahrt.
Was mich wirklich erstaunt hat: Es gibt tatsächlich eine EU-Verordnung zur grenzüberschreitenden Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen (Stand: 2025, Quelle: europa.eu). Das wird relevant, wenn der Baum eines ausländischen Nachbarn Schäden verursacht oder wenn man selbst im EU-Ausland ein Grundstück besitzt. Die Regelungen sind komplex, aber grundsätzlich gilt das Recht des Landes, in dem der Schaden entstanden ist.
Die Digitalisierung macht vieles einfacher. Es gibt mittlerweile Apps, die einen an die Baumkontrolle erinnern, die Dokumentation vereinfachen und sogar per Bildererkennung erste Diagnosen stellen können. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (bsi.bund.de) warnt allerdings davor, sich nur auf solche Apps zu verlassen. Sie ersetzen nicht die fachkundige Begutachtung, können aber eine gute Ergänzung sein. Wir nutzen jetzt so eine App – macht Spaß und man lernt viel über seine Bäume.
Ein Thema, das gerne vergessen wird: die steuerliche Absetzbarkeit. Kosten für Baumgutachten und -pflege können unter Umständen als haushaltsnahe Dienstleistungen oder Handwerkerleistungen abgesetzt werden. 20% der Arbeitskosten, maximal 4.000 Euro im Jahr (Stand: 2025, kann sich ändern). Bei uns waren das immerhin 200 Euro Steuerersparnis – nicht viel, aber besser als nichts. Die Entsorgung des umgestürzten Baums konnten wir allerdings nicht absetzen, das gilt als Schadensbeseitigung.
Besonders perfide: Manche Versicherungen versuchen, sich aus der Haftung zu stehlen, indem sie dem Geschädigten eine Mitschuld zuschieben. Bei uns wurde tatsächlich argumentiert, die Nachbarn hätten ihre Gartenhütte zu nah an der Grundstücksgrenze aufgestellt. Die erlaubten 3 Meter Abstand waren zwar eingehalten, aber die Versicherung versuchte es trotzdem. Erst ein Anwaltsschreiben mit Verweis auf die Bauordnung brachte sie zum Einlenken.
...und dann ist da noch die Sache mit der Verjährung. Schadensersatzansprüche verjähren grundsätzlich nach drei Jahren (Stand: 2025, BGB §195). Die Frist beginnt am Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Geschädigte davon Kenntnis erlangt hat. Klingt kompliziert? Ist es auch. Bei uns wollte die Versicherung behaupten, ein Teil des Schadens sei erst später entdeckt worden und deshalb separat zu betrachten. Wieder Anwalt, wieder Stress, wieder Kosten.
Vielleicht ist das die eigentliche Lektion aus unserer Baum-Katastrophe: Man sollte seine Nachbarschaftsbeziehungen pflegen, bevor etwas passiert. Nach monatelangem Schweigen haben wir die Schmidts zum Grillen eingeladen. Es war erst komisch, aber nach dem dritten Bier haben wir sogar darüber gelacht, wie absurd die ganze Situation war. Heute helfen wir uns wieder gegenseitig, die Kinder spielen zusammen, und zweimal im Jahr kontrollieren wir gemeinsam unsere Bäume. Das hätten wir vorher machen sollen – es hätte uns allen viel Ärger erspart.
Häufig gestellte Fragen zur Baumhaftung
Viele Leser:innen haben uns gefragt, wie es eigentlich mit Obstbäumen aussieht, deren Früchte auf Nachbars Grundstück fallen. Grundsätzlich gilt: Fallobst gehört dem Grundstückseigentümer, auf dessen Boden es fällt. Aber wenn die faulen Äpfel Schäden verursachen – zum Beispiel Flecken auf der Terrasse oder Wespenplage – kann der Nachbar verlangen, dass man die überhängenden Äste zurückschneidet. Das Recht zum Selbstschnitt hat er aber nur, wenn er dem Baumeigentümer vorher eine angemessene Frist gesetzt hat. Was "angemessen" ist? Wieder so eine juristische Grauzone. In der Praxis sind es meist 2-4 Wochen außerhalb der Vegetationsperiode.
Eine andere häufige Frage betrifft die Haftung bei gemieteten Gärten. Wenn im Mietvertrag steht, dass der Mieter den Garten pflegt, ist er meist auch für die Verkehrssicherung zuständig. Aber nur für die normale Kontrolle – größere Baumarbeiten bleiben Vermietersache. Das sollte man unbedingt im Mietvertrag klären. Ein Kollege musste mal 3.000 Euro zahlen, weil ein morscher Ast aus "seinem" Mietgarten aufs Nachbarauto fiel. Der Mietvertrag war da eindeutig: "Gartenpflege obliegt dem Mieter."
Oft wurden wir auch gefragt, ob die Gemeinde haftet, wenn sie eine Baumfällgenehmigung verweigert und der Baum dann Schäden verursacht. Die Antwort ist kompliziert. Grundsätzlich nicht, es sei denn, die Verweigerung war offensichtlich rechtswidrig. Aber das nachzuweisen ist fast unmöglich. Besser ist es, bei erkennbarer Gefahr ein Eilverfahren anzustrengen oder zumindest die Bedenken schriftlich zu dokumentieren. Dann hat man wenigstens was in der Hand, wenn's kracht.