Wie bunte Sticker unsere Stromkosten halbierten

Der Tag, an dem uns die Stromrechnung wach machte
Manche Momente brennen sich ein. Nicht weil sie dramatisch wären, sondern weil sie einen wachrütteln. Bei uns war es ein ganz normaler Montagmorgen. Kaffee dampfte in den Tassen, Toast knusperte im Toaster, draußen war es grau und unentschlossen. Und dann kam die Post.
Markus öffnete den Brief von den Stadtwerken. Ich sah, wie er die Stirn runzelte. Dieses langsame, ungläubige Runzeln, das bedeutet: Da stimmt was nicht.
„Was ist?", fragte ich und biss in meinen Toast.
Er drehte den Brief um, als könnte die Rückseite eine andere Wahrheit offenbaren. „Die Stromrechnung."
„Und?"
„Hoch."
„Wie hoch?"
Er nannte die Zahl. Ich verschluckte mich fast am Toast.
„Das kann nicht stimmen", sagte ich, nachdem ich mich ausgehustet hatte.
„Doch. Steht hier. Schwarz auf weiß."
Ich nahm ihm den Brief aus der Hand, las die Zahl selbst. Dann noch mal. Als würde sie sich beim zweiten Hinschauen ändern. Tat sie aber nicht. Sie blieb erschreckend hoch. Fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Und wir hatten doch eigentlich nichts geändert. Keine neuen Geräte gekauft, nicht plötzlich mehr zu Hause gewesen. Einfach nur – gelebt. Wie immer.
„Irgendwas müssen wir ändern", sagte Markus.
Ich nickte. Der Toast schmeckte plötzlich nicht mehr so gut.
Den restlichen Tag verbrachte ich mit diesem Gefühl im Nacken. Dieses schlechte Gewissen, gemischt mit Ratlosigkeit. Wie verbraucht man zu viel Strom, ohne es zu merken? Wir sind doch keine Verschwender. Wir achten auf sowas. Dachten wir jedenfalls.
Abends, als die Kinder im Bett waren, setzten wir uns an den Küchentisch – unseren Küchentisch, der schon so viele Diskussionen gesehen hat – und überlegten. Was können wir machen?
„Wir sollten alle Lampen austauschen", sagte Markus. „LEDs, überall."
„Haben wir doch schon", erwiderte ich. „Zumindest die meisten."
„Dann halt die restlichen auch."
„Bringt das wirklich so viel?"
Gute Frage. Ich schaute später nach. LED-Lampen verbrauchen tatsächlich deutlich weniger Strom als alte Glühbirnen – bis zu neunzig Prozent weniger. Aber wir hatten eben schon die meisten umgerüstet. Die paar verbliebenen Halogenspots im Bad würden den Unterschied nicht erklären.
„Vielleicht ist es gar nicht die Art der Lampen", sagte ich nach einer Weile. „Vielleicht brennen einfach zu viele gleichzeitig."
Markus schaute mich an. „Du meinst, wir lassen zu viel Licht an?"
„Genau."
„Aber wir achten doch drauf."
„Wirklich?"
Wir dachten nach. Und je mehr wir nachdachten, desto klarer wurde: Nein, eigentlich nicht. Wir kamen nach Hause, machten in jedem Raum, den wir betraten, das Licht an. Küche, Flur, Bad, Wohnzimmer. Und dann? Dann blieb es an. Den ganzen Abend. Auch wenn wir nur im Wohnzimmer saßen. Auch wenn niemand im Flur war. Auch wenn die Kinder längst schliefen, aber in ihren Zimmern das Nachtlicht brannte.
„Okay", sagte Markus, „dann müssen wir besser werden beim Ausschalten."
„Klingt einfach."
„Ist es doch auch."
Ist es aber nicht. Weil Gewohnheiten eben Gewohnheiten sind. Man macht Dinge automatisch, ohne nachzudenken. Licht anmachen ist so eine Sache. Reflexartig. Raum betreten, Schalter drücken, Licht an. Fertig. Dass man es auch wieder ausschalten könnte, wenn man den Raum verlässt – daran denkt man nicht. Jedenfalls nicht automatisch.
Die nächsten Tage versuchten wir, bewusster zu sein. Ich ging durch die Wohnung und machte Licht aus. Markus auch. Wir erinnerten die Kinder: „Mach das Licht aus, wenn du rausgehst." Sie nickten, vergaßen es trotzdem. Genau wie wir.
Es war frustrierend. Weil wir es wussten. Weil wir es wollten. Aber trotzdem nicht hinbekamen. Das Gehirn arbeitet eben nicht so. Man kann nicht einfach sagen: „Ab jetzt denke ich daran" und dann funktioniert's. Gewohnheiten sitzen tief. Sehr tief.
Dann kam mir die Idee mit den Stickern. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich drauf kam. Vielleicht hatte ich es irgendwo gesehen, im Internet oder bei Freunden. Oder es war einfach eine spontane Eingebung. Jedenfalls dachte ich: Wenn wir's nicht automatisch hinkriegen, brauchen wir Erinnerungen. Sichtbare Erinnerungen.
„Was hältst du davon", sagte ich zu Markus, „wenn wir kleine Aufkleber neben die Lichtschalter machen?"
„Aufkleber?"
„Ja. Mit Erinnerungen. Sowas wie: Licht aus. Oder: Brauchst du das wirklich?"
Er überlegte. „Könnte funktionieren."
„Die Kinder könnten die Motive aussuchen. Dann machen sie vielleicht eher mit."
„Gute Idee."
Also gingen wir am Wochenende los und besorgten Aufkleber. Nicht irgendwelche – bunte, lustige, mit verschiedenen Motiven. Sterne, Sonnen, Monde, Tiere. Die Kinder durften sich aussuchen, was wo hinkommen sollte. Lena wollte den Panda im Badezimmer, weil „der schläft ja auch und braucht kein Licht". Felix wollte die Sonne im Flur, „weil da sollte's hell sein, wenn's draußen dunkel ist". Logik von Kindern. Funktioniert nicht immer, aber meistens süß.
Wir schrieben kleine Texte auf die Sticker. Nichts Strenges, nichts Vorwurfvolles. Nur freundliche Erinnerungen. „Aus!", stand auf dem einen. „Nur wenn's dunkel ist!", auf einem anderen. „Braucht das Licht wirklich an zu sein?" war mein persönlicher Favorit, weil die Frage einen zum Nachdenken bringt, ohne zu befehlen.
Dann klebten wir sie überall hin. Neben jeden Lichtschalter. Küche, Wohnzimmer, Kinderzimmer, Bad, Flur. Die Wohnung sah plötzlich aus wie ein fröhliches Klassenzimmer. Aber irgendwie auch niedlich.
Am Anfang passierte – nichts. Wir ignorierten die Sticker komplett. Liefen dran vorbei, schalteten das Licht an, gingen weiter. Als hätten wir sie gar nicht geklebt. Das war ernüchternd. Ich dachte schon: Na toll, das war wohl nichts.
Aber dann, nach ein paar Tagen, fing es an zu wirken. Ich kann nicht genau sagen, wann. Aber irgendwann blieb mein Blick an einem Sticker hängen. Dieser kleine Stern im Flur mit „Aus!" drauf. Und ich dachte: Stimmt. Ich brauche das Licht hier nicht. Also machte ich es aus.
Und je öfter das passierte, desto selbstverständlicher wurde es. Die Sticker wurden zu Auslösern. Trigger nennt man das in der Verhaltenspsychologie – Reize, die eine bestimmte Handlung anstoßen. Man sieht den Sticker, denkt kurz nach, handelt. Nach und nach wird daraus eine neue Gewohnheit.
Interessanterweise funktioniert das auch bei den Kindern. Lena machte plötzlich von alleine das Licht im Badezimmer aus. Ich fragte sie warum. „Wegen dem Panda", sagte sie. „Der will schlafen." Felix kontrollierte abends alle Räume, ob noch Licht brannte. „Ich bin der Licht-Sheriff", verkündete er stolz. Wir ließen ihn gewähren. Hauptsache, es funktionierte.
Was mir später klar wurde: Die Sticker tun eigentlich nichts. Sie sind nur Papier mit Kleber und ein bisschen Farbe. Aber sie verändern unser Bewusstsein. Sie holen uns aus dem Autopilot-Modus raus. Zwingen uns, für einen Sekundenbruchteil nachzudenken: Brauche ich das Licht? Und meistens lautet die Antwort: Nein.
Das ist so ein Konzept aus der Verhaltensökonomie, das Daniel Kahneman und andere erforscht haben. Menschen treffen die meisten Entscheidungen nicht rational, sondern automatisch. System 1 nennt Kahneman das – schnell, intuitiv, ohne bewusste Überlegung. System 2 ist das langsame, bewusste Denken. Die Sticker aktivieren System 2. Sie bringen uns dazu, kurz innezuhalten und nachzudenken, statt einfach nur zu reagieren.
Und das Schöne ist: Es braucht keinen großen Aufwand. Keine komplizierte Technik, keine teuren Geräte. Nur kleine, bunte Erinnerungen. Und ein bisschen Aufmerksamkeit.
Nach einem Monat kam die nächste Stromrechnung. Genauer gesagt: die Zwischenabrechnung. Ich öffnete sie mit Herzklopfen. Hatte es was gebracht? Oder war das alles umsonst?
Es hatte was gebracht. Nicht dramatisch – wir hatten nicht plötzlich die Hälfte eingespart. Aber es war sichtbar weniger. Etwa fünfzehn Prozent, wenn ich's richtig hochrechnete. Das klingt vielleicht nicht viel, aber aufs Jahr gerechnet war es eine ordentliche Summe. Genug, um zu denken: Okay, das lohnt sich.
„Siehst du", sagte Markus, als ich ihm die Rechnung zeigte, „kleine Aufkleber, große Wirkung."
Er hatte recht. Und es fühlte sich gut an. Nicht nur wegen des Geldes – obwohl das natürlich auch schön war. Sondern wegen des Gefühls, etwas zu bewirken. Kontrolle zu haben. Bewusster zu leben.
Ich habe später gelesen, dass Haushalte in Deutschland durchschnittlich etwa zehn Prozent ihres Stromverbrauchs für Beleuchtung ausgeben. Das klingt nicht viel, aber bei einem durchschnittlichen Haushalt sind das mehrere hundert Kilowattstunden im Jahr. Wenn man davon auch nur die Hälfte einsparen kann – durch bewussteres Ausschalten, durch LED-Lampen, durch Tageslichtnutzung –, macht das einen Unterschied. Nicht nur für den Geldbeutel, sondern auch fürs Klima. Weniger Strom bedeutet weniger CO2-Ausstoß. Und auch wenn ein einzelner Haushalt nicht die Welt rettet – viele zusammen schon.
Aber das war damals nicht unser Hauptmotiv. Wir dachten nicht: Lasst uns die Welt retten. Wir dachten: Lasst uns diese verdammt hohe Stromrechnung senken. Umweltschutz war ein Nebeneffekt. Ein schöner, aber nicht der primäre Grund.
Heute sehe ich das ein bisschen anders. Weil mir klar geworden ist, dass diese beiden Dinge – Geld sparen und Umwelt schützen – nicht getrennt sind. Sie gehen Hand in Hand. Weniger Verbrauch ist gut für den Geldbeutel und gut für den Planeten. Win-win, wie man so schön sagt.
Die Sticker sind geblieben. Manche sind über die Monate verblasst, die Farben nicht mehr so leuchtend. Der Panda im Bad sieht mittlerweile ein bisschen müde aus, was irgendwie passend ist. Aber sie machen immer noch ihren Job. Sie erinnern uns. Halten uns wach. Im wörtlichen und übertragenen Sinn.
Neulich war eine Freundin zu Besuch. Sie sah die Sticker und lachte. „Süß", sagte sie. „Musst ihr euch wirklich daran erinnern, das Licht auszumachen?"
„Ja", sagte ich ehrlich. „Anscheinend schon."
„Und es funktioniert?"
„Überraschend gut."
Sie dachte einen Moment nach. „Vielleicht sollte ich das auch machen."
„Tu das."
Ein paar Wochen später schrieb sie mir eine Nachricht: Sie hatte sich auch Sticker besorgt. Und es würde tatsächlich helfen. Sie würde jetzt viel öfter dran denken, das Licht auszumachen.
Das ist das Schöne an solchen einfachen Lösungen: Sie sind leicht weiterzugeben. Man braucht keine Expertise, keine teuren Investitionen. Nur ein bisschen Kreativität und den Willen, etwas zu ändern.
Was ich auch gelernt habe: Es geht nicht um Perfektion. Wir vergessen immer noch manchmal, das Licht auszumachen. Wir lassen immer noch manchmal im Flur die Lampe brennen, obwohl niemand da ist. Aber es ist deutlich seltener geworden. Und das reicht. Weil es nicht darum geht, alles richtig zu machen. Es geht darum, besser zu werden. Schritt für Schritt. Sticker für Sticker.
Die Kinder haben übrigens angefangen, das Prinzip auch auf andere Dinge zu übertragen. Felix hat einen selbstgemalten Sticker an die Haustür geklebt: „Schlüssel dabei?" Lena hat einen neben den Wasserhahn gemalt: „Nicht zu lange!" mit einem tropfenden Wasserhahn daneben. Sie haben verstanden, worum es geht. Nicht um Regeln oder Verbote, sondern um Bewusstsein. Um kleine Erinnerungen, die helfen, besser zu handeln.
Manchmal, wenn ich abends durch die Wohnung gehe und in jedem Raum kurz pause, um das Licht auszuschalten, schaue ich auf die kleinen bunten Aufkleber. Und jedes Mal denke ich: Ein bisschen was verändert. Nicht die Welt. Nicht das große Ganze. Aber unseren kleinen Teil davon.
Und vielleicht ist das genau das, was wir tun können. Jeder in seinem kleinen Rahmen. Mit den Mitteln, die wir haben. Kleine Schritte, die sich summieren. Kleine Aufkleber, die große Gedanken anstoßen. Kleine Veränderungen, die zusammen etwas bewirken.
Die nächste Stromrechnung kommt in ein paar Wochen. Ich bin gespannt, ob sich der Trend fortsetzt. Ob wir noch weiter runter sind. Aber selbst wenn nicht – die Sticker bleiben. Weil sie funktionieren. Weil sie uns helfen. Weil sie ein kleines Symbol sind für etwas Größeres: Die Idee, dass wir nicht hilflos sind. Dass wir etwas tun können. Dass Veränderung möglich ist.
Auch wenn sie mit bunten Aufklebern und einem schlafenden Panda anfängt.