Warum fünf Minuten Vorbereitung am Abend deinen ganzen Tag retten können

Die Sache mit den Morgenstunden – oder: wie wir lernten, das Chaos ein bisschen zu zähmen
Weißt du, es gibt diese Momente, da stehe ich in der Küchentür, noch halb im Schlaf, und sehe Markus mit einem Schuh in der Hand durchs Wohnzimmer hechten, während die Kleine ruft: „Mama, wo ist mein Turnbeutel?" und der Große mürrisch am Küchentisch sitzt und behauptet, er hätte keinen Hunger. Gleichzeitig piept der Toaster. Nicht einmal. Nein, dieser hartnäckige Dauerton, der signalisiert: „Ich brenne hier gleich an, falls sich mal jemand kümmern würde!" An solchen Morgen denke ich manchmal: Das kann doch nicht der Plan gewesen sein.
Dabei wollten wir das alles doch mal anders machen. Als wir noch keine Kinder hatten, haben wir uns vorgestellt, wie wir gemeinsam gemütlich frühstücken würden. Mit frischem Kaffee, vielleicht sogar selbstgebackenen Brötchen, während draußen die Vögel zwitschern. So ein richtiges Bilderbuch-Frühstück eben. Die Realität sieht meistens so aus: Markus sucht seine Unterlagen für die erste Besprechung, die Kinder finden ihre Schuhe nicht, obwohl sie gestern noch genau da standen, und ich versuche irgendwie, drei Dinge gleichzeitig zu machen – Pausenbrote schmieren, Kaffee kochen und dabei auch noch halbwegs präsent sein für das, was die Kinder mir erzählen wollen.
Ehrlich gesagt war ich lange ziemlich frustriert darüber. Ich habe mich gefragt, warum bei anderen Familien scheinbar alles so mühelos läuft. Auf Instagram sieht man diese perfekt arrangierten Frühstückstische mit Avocado-Toast und frisch gepressten Säften. Bei uns war es eher: Wer findet zuerst das Nutella? Und Markus meinte auch immer wieder, dass er sich gestresst fühlt, wenn er morgens schon in Zeitnot gerät. Er ist jemand, der gerne einen ruhigen Start braucht, während ich eher so der Typ bin, der auch noch im letzten Moment drei Dinge erledigen kann. Das hat natürlich auch für Reibung gesorgt zwischen uns.
An einem besonders chaotischen Dienstagmorgen – ich glaube, es war im März, draußen nieselte es so vor sich hin – ist mir dann der Kragen geplatzt. Nicht im lauten Sinne, eher so innerlich. Ich stand mit einer halb geschmierten Stulle in der Hand da, der Kaffee war kalt geworden, weil ich ihn vergessen hatte, und die Kinder stritten sich gerade, wer die bessere Brotdose hat. Markus rief aus dem Flur: „Hat jemand meine Akte gesehen?" Und ich dachte nur: Es muss doch einen besseren Weg geben.
Abends, als die Kinder endlich im Bett waren und wir auf der Couch saßen – beide ziemlich platt vom Tag – habe ich es angesprochen. „Weißt du, ich halte das morgens nicht mehr aus", habe ich gesagt. Markus hat erstmal nichts erwidert, nur genickt. Dann meinte er: „Mir geht's genauso. Ich fühle mich jeden Morgen wie im Hamsterrad, bevor der Tag überhaupt angefangen hat." Wir haben dann angefangen zu überlegen, was wir ändern könnten. Nicht in großen, revolutionären Schritten – dazu waren wir ehrlich gesagt zu müde. Aber vielleicht in kleinen.
Ich habe mich in den Tagen danach ein bisschen umgehört. Eine Freundin erzählte mir, dass sie abends schon das Frühstück vorbereitet. Klingt erstmal nach nichts Besonderem, aber sie schwärmte davon, wie viel entspannter ihre Morgen dadurch geworden sind. Ich war skeptisch. Ich meine, wer hat abends noch die Energie, sich um den nächsten Morgen zu kümmern? Aber dann habe ich angefangen zu recherchieren – so wie ich das manchmal mache, wenn mich ein Thema nicht loslässt.
Was ich dabei herausgefunden habe, hat mich tatsächlich überrascht. Es gibt erstaunlich viel Forschung darüber, wie wichtig Routinen für unser Wohlbefinden sind. Psychologen sprechen von „Decision Fatigue" – der Tatsache, dass wir jeden Tag nur eine begrenzte Anzahl an guten Entscheidungen treffen können. Jede kleine Entscheidung, die wir morgens treffen müssen – was gibt es zum Frühstück, wo sind die Schlüssel, welche Jacke ziehe ich an – verbraucht mentale Energie. Und wenn wir morgens schon erschöpft sind von all diesen Mikro-Entscheidungen, bleibt weniger Kraft für die wirklich wichtigen Dinge des Tages.
Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Vielleicht war unser chaotischer Morgen nicht einfach nur Pech oder mangelnde Organisation. Vielleicht war es auch ein strukturelles Problem. Wir haben uns jeden Morgen aufs Neue durch ein Dickicht von kleinen Entscheidungen gekämpft, ohne zu merken, wie viel Energie das kostet.
Also haben wir es ausprobiert. An einem Sonntag abend – ich weiß noch, wie müde ich war und wie wenig Lust ich hatte – haben Markus und ich uns hingesetzt und überlegt, was wir vorbereiten könnten. Nicht alles, das wäre zu ambitioniert gewesen. Aber ein paar Dinge. Wir haben Overnight-Oats vorbereitet – ich hatte das Rezept irgendwo gesehen und gedacht, dass es einen Versuch wert ist. Haferflocken, Milch, ein bisschen Joghurt, ein paar Beeren drauf. Nichts Kompliziertes. Das Brot haben wir geschnitten und in eine Box gepackt. Die Kaffeemaschine haben wir fertig gemacht, sodass morgens nur noch ein Knopfdruck nötig ist.
Es fühlte sich komisch an, ehrlich gesagt. Ein bisschen so, als würden wir uns selbst beweisen wollen, dass wir unser Leben im Griff haben. Markus meinte noch: „Wenn wir morgen aufwachen und das alles umsonst war, werde ich nie wieder Haferflocken anrühren." Wir mussten beide lachen. Aber wir haben es trotzdem gemacht.
Der nächste Morgen war... anders. Nicht perfekt, das auf keinen Fall. Die Kleine konnte ihre Hausaufgaben nicht finden, und der Große hatte Bauchweh und wollte nicht zur Schule. Aber als ich in die Küche kam und sah, dass das Frühstück schon halb fertig war, hat sich etwas in mir entspannt. So eine kleine, warme Welle der Erleichterung. Ich musste nicht sofort in den Aktionsmodus schalten. Ich konnte erstmal ankommen, den Kaffee anmachen und in Ruhe einen Schluck trinken, bevor der Tag richtig losging.
Markus hat das auch gemerkt. „Das ist ja fast entspannt", meinte er, während er sein Müsli aus dem Kühlschrank holte. Und tatsächlich – diese paar Minuten Ruhe beim ersten Kaffee haben den ganzen Ton des Morgens verändert. Wir waren nicht mehr im Panikmodus. Wir konnten atmen.
Natürlich ist das keine Wunderlösung. Das will ich auch gar nicht behaupten. Es gibt immer noch Morgen, an denen alles schiefgeht. Neulich hatte ich vergessen, neue Milch zu kaufen, und dann stand ich da mit meinem vorbereiteten Müsli und konnte es nicht essen. Oder letzte Woche hat Markus die Butter ins Gefrierfach gepackt – keine Ahnung, wie das passiert ist – und morgens war sie steinhart. Wir haben zehn Minuten gebraucht, um sie wieder auftauen zu lassen. Die Kinder fanden das unglaublich lustig, während wir beiden eher gestresst waren.
Aber weißt du, was interessant ist? Selbst an diesen chaotischen Morgen fühlt es sich nicht mehr ganz so überwältigend an. Es ist, als hätten wir eine Art Grundgerüst geschaffen, das uns auffängt, auch wenn nicht alles nach Plan läuft. Und das hat mich wieder auf etwas gebracht, das ich irgendwo gelesen hatte: In der Verhaltenspsychologie spricht man von „Habit Stacking" – der Idee, dass man neue Gewohnheiten leichter etablieren kann, wenn man sie an bestehende Routinen koppelt.
Bei uns war es so: Nachdem wir die Kinder ins Bett gebracht haben, gehen wir sowieso nochmal in die Küche, um aufzuräumen. Jetzt hängen wir einfach noch fünf Minuten dran und bereiten das Frühstück vor. Es ist zur Gewohnheit geworden, fast schon zum Ritual. Markus macht die Kaffeemaschine fertig, ich kümmere mich ums Müsli oder schnelle das Brot. Manchmal reden wir dabei über den Tag, manchmal sind wir beide einfach nur still und erledigen unsere Handgriffe. Es hat etwas Meditatives, finde ich. Diese ruhigen Minuten am Abend, wo wir für den nächsten Tag vorsorgen.
Die Kinder haben das mittlerweile auch mitbekommen. Die Große hat gefragt, warum wir das machen. Ich habe ihr erklärt, dass es uns hilft, morgens entspannter zu sein. Sie meinte: „Kann ich auch was vorbereiten?" Seitdem packt sie abends ihre Schultasche und legt ihre Klamotten raus. Der Kleine findet das noch doof und macht es nicht – aber das ist okay. Jeder in seinem Tempo.
Was mich dabei am meisten fasziniert hat, war zu entdecken, wie viel Forschung es zu diesem Thema gibt. Ich bin irgendwann auf Studien gestoßen, die zeigen, dass Menschen, die ihre Morgen strukturieren, weniger gestresst sind und produktiver arbeiten. Es geht nicht nur um Effizienz, sondern auch um psychisches Wohlbefinden. Wenn wir das Gefühl haben, einen Bereich unseres Lebens im Griff zu haben – und sei es nur das Frühstück – überträgt sich das auf andere Bereiche. Wir fühlen uns selbstwirksamer. Kompetenter.
Das hat mich auch an meine eigene Kindheit erinnert. Meine Mutter war immer sehr strukturiert. Sie hat abends die Schulsachen kontrolliert, das Pausenbrot vorbereitet und morgens war alles geregelt. Als Kind fand ich das manchmal nervig – ich wollte spontan sein, nicht alles durchplanen. Aber heute verstehe ich, warum sie das gemacht hat. Sie wollte uns einen ruhigen Start in den Tag ermöglichen. Und wenn ich ehrlich bin: Diese Struktur hat mir Sicherheit gegeben. Ich wusste, was kommt. Ich musste morgens nicht überlegen, was ich anziehe oder ob ich mein Turnzeug dabei habe. Es war einfach da.
Markus hatte eine ganz andere Kindheit. Bei ihm war morgens immer Chaos. Seine Mutter hat drei Kinder alleine großgezogen und war chronisch überfordert. Er erzählt manchmal, wie er als Kind zur Schule gerannt ist, mit halboffener Jacke und vergessenen Hausaufgaben, weil einfach niemand Zeit hatte, das alles zu koordinieren. Ich glaube, deshalb ist ihm diese morgendliche Ruhe jetzt so wichtig. Er will nicht, dass unsere Kinder den gleichen Stress erleben.
Es ist lustig, wie unterschiedlich unsere Erfahrungen sind und wie sehr sie prägen, was wir für unsere eigene Familie wollen. Wir haben lange gebraucht, um herauszufinden, was für uns funktioniert. Am Anfang habe ich versucht, alles perfekt zu machen – jeden Abend ein gesundes, ausgewogenes Frühstück vorzubereiten, mit frischem Obst und allem Drum und Dran. Das war anstrengend und hat nicht lange gehalten. Irgendwann habe ich gelesen, dass Perfektionismus der Feind von Kontinuität ist. Und das stimmt. Es geht nicht darum, jeden Tag alles richtig zu machen. Es geht darum, ein paar kleine Dinge zu etablieren, die uns das Leben leichter machen.
Mittlerweile haben wir unseren Rhythmus gefunden. Montags und dienstags machen wir Overnight-Oats, mittwochs gibt es oft Brot mit Aufschnitt, und am Wochenende nehmen wir uns mehr Zeit und machen Rührei oder Pancakes. Es ist nicht spektakulär, aber es funktioniert. Und das ist doch das Wichtigste, oder?
Ich habe auch gemerkt, dass diese kleine Veränderung etwas mit uns gemacht hat – nicht nur morgens, sondern generell. Wir sind weniger gereizt miteinander. Wir streiten uns seltener über Kleinigkeiten. Ich glaube, das liegt daran, dass wir nicht mehr jeden Morgen im Krisenmodus starten. Wir haben ein bisschen Luft zum Atmen. Und in diesem Raum können wir freundlicher miteinander sein.
Es gibt Studien dazu, wie wichtig der Morgen für die Stimmung des gesamten Tages ist. Wenn wir gestresst in den Tag starten, tragen wir diesen Stress mit uns herum. Kleine Konflikte eskalieren schneller, wir sind weniger geduldig, weniger nachsichtig mit uns selbst und anderen. Aber wenn wir ruhig starten, mit einem Gefühl von Kontrolle und Gelassenheit, wirkt sich das positiv auf alles aus, was folgt.
Das habe ich besonders bei den Kindern gemerkt. Die Große ist morgens oft noch müde und ein bisschen muffelig. Früher, als wir alle gestresst waren, ist sie noch muffeliger geworden – bis hin zu kleinen Wutausbrüchen, weil die falschen Socken oder das falsche Brot da waren. Jetzt, wo die Morgen entspannter sind, kommt sie langsamer in Gang, aber ohne Drama. Sie hat Zeit, anzukommen. Und das macht den Unterschied.
Der Kleine ist ein anderer Typ – er ist morgens immer gut gelaunt, egal was passiert. Aber auch er profitiert davon, dass wir nicht alle hektisch sind. Er erzählt morgens gerne, was er geträumt hat oder was er in der Schule machen will. Früher hatten wir keine Zeit für solche Gespräche. Jetzt hören wir zu. Nicht immer geduldig, nicht immer voll präsent – aber öfter als früher. Und das ist schön.
Ich habe irgendwo gelesen, dass Kinder, die in eine ruhige Morgenroutine eingebunden sind, später besser in der Lage sind, sich selbst zu organisieren. Es geht darum, dass sie lernen: Planung reduziert Stress. Vorbereitung hilft. Das sind Fähigkeiten, die sie ihr ganzes Leben brauchen werden. Natürlich sollen sie auch Spontaneität lernen und Flexibilität – aber beides schließt sich nicht aus. Man kann strukturiert sein und trotzdem spontan, wenn die Situation es erfordert.
Manchmal denke ich darüber nach, wie klein diese Veränderung eigentlich war. Fünf Minuten am Abend. Overnight-Oats, geschnittenes Brot, eine fertig gemachte Kaffeemaschine. Nicht viel. Aber die Wirkung ist erstaunlich groß. Es erinnert mich daran, dass es oft nicht die großen Würfe sind, die unser Leben verändern, sondern die kleinen, konsequenten Schritte.
Neulich haben wir mit Freunden darüber gesprochen. Sie haben ähnliche Probleme morgens – die Kinder trödeln, es fehlt immer irgendetwas, und am Ende geht jeder genervt aus dem Haus. Ich habe ihnen erzählt, was wir machen, und sie fanden es spannend. „Aber schafft ihr das jeden Abend?", haben sie gefragt. Und ehrlich gesagt: Nein. Es gibt Abende, da sind wir zu müde oder zu beschäftigt. Dann fällt es aus. Und das ist okay. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Tendenz. Wenn wir es an vier von sieben Abenden schaffen, ist das immer noch besser als gar nicht.
Was ich auch gelernt habe: Es geht nicht nur um die praktische Vorbereitung, sondern auch um die mentale Einstellung. Lange habe ich gedacht, dass Vorbereitung spießig ist. Ein Zeichen von Kontrollzwang oder mangelnder Spontaneität. Aber mittlerweile sehe ich das anders. Vorbereitung ist Selbstfürsorge. Es ist eine Art, für sich selbst zu sorgen, indem man sich das Leben leichter macht. Es ist nicht langweilig oder unkreativ – es ist klug.
Markus hat das mal so formuliert: „Ich will meine Kreativität und Energie nicht dafür verschwenden, morgens um sieben zu überlegen, was ich frühstücke. Ich will sie für Dinge nutzen, die mir wichtig sind." Und das stimmt. Entscheidungsmüdigkeit ist real. Wenn wir morgens schon erschöpft sind von all den kleinen Entscheidungen, bleibt weniger Energie für die großen Dinge – für die Arbeit, für kreative Projekte, für tiefe Gespräche mit den Kindern.
Es gibt noch einen anderen Aspekt, über den ich in letzter Zeit nachgedacht habe. In unserer Gesellschaft wird oft Produktivität und Effizienz betont – schneller, besser, mehr. Aber ich glaube, dass es bei unserer morgendlichen Vorbereitung nicht primär um Effizienz geht. Es geht um Qualität. Um die Qualität des Moments, wenn ich morgens in die Küche komme und merke: Ich habe Raum zum Atmen. Ich muss nicht sofort funktionieren. Ich kann erstmal da sein.
Das ist etwas, das unserer schnelllebigen Welt oft fehlt: diese kleinen Momente der Ruhe. Wir sind so darauf konditioniert, ständig zu rennen, zu tun, zu leisten. Aber manchmal ist das Wichtigste, was wir tun können, uns selbst einen Moment der Stille zu ermöglichen. Und wenn dieser Moment durch ein vorbereitetes Frühstück ermöglicht wird – warum nicht?
Ich merke auch, dass sich unser Verhältnis zum Essen ein bisschen verändert hat. Früher war das Frühstück oft eine Notwendigkeit, etwas, das man halt machen muss, bevor man aus dem Haus geht. Jetzt ist es mehr. Es ist ein Moment des Innehaltens, des gemeinsamen Sitzens, auch wenn es nur zehn Minuten sind. Die Kinder erzählen, was sie vorhaben. Markus und ich tauschen uns kurz aus. Es ist nicht viel, aber es verbindet uns.
Es gibt kulturelle Unterschiede, wie Menschen mit Mahlzeiten umgehen. In manchen Kulturen ist das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages, ein großes, gemeinsames Ereignis. In anderen ist es eher nebensächlich. Bei uns in Deutschland gibt es diese Tradition des Abendsbrots – das gemeinsame Essen am Abend, oft einfach, aber wichtig für die Familie. Ich finde, wir haben lange unterschätzt, wie wichtig auch das Frühstück sein kann. Nicht als große Mahlzeit, sondern als kleiner Anker, der den Tag beginnen lässt.
Was ich auch bemerkenswert finde: Diese kleine Veränderung hat uns bewusster gemacht für andere Bereiche unseres Lebens, in denen wir uns das Leben leichter machen könnten. Wir haben angefangen, am Wochenende zu überlegen, was wir die Woche kochen wollen, und einen groben Essensplan zu machen. Nicht starr, aber als Orientierung. Das nimmt Druck. Wenn ich abends nach Hause komme und weiß, was ich kochen will, spare ich mentale Energie. Ich stehe nicht vor dem Kühlschrank und überlege verzweifelt, was ich aus drei Karotten, einem angebrochenen Joghurt und Nudeln zaubern kann.
Markus hat auch angefangen, abends seine Sachen für den nächsten Tag rauszulegen. Früher hat er morgens zehn Minuten damit verbracht, ein Hemd zu finden, das gebügelt ist, und Socken, die zusammenpassen. Jetzt macht er das abends in zwei Minuten. Klingt banal, aber es macht ihn morgens entspannter.
Interessanterweise habe ich gelesen, dass viele erfolgreiche Menschen genau solche Routinen haben. Nicht, weil sie pedantisch sind, sondern weil sie verstanden haben, dass Routinen mentale Ressourcen freisetzen. Steve Jobs hat angeblich immer das gleiche Outfit getragen, damit er keine Zeit mit der Entscheidung verschwenden musste, was er anzieht. Barack Obama hat seine Kleidung am Abend vorher ausgesucht. Es geht nicht um Kontrolle, sondern um Freiheit – die Freiheit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Natürlich sind wir keine Präsidenten und keine Tech-Gründer. Wir sind einfach eine Familie, die versucht, den Alltag zu meistern. Aber das Prinzip ist das gleiche: Wenn wir uns das Leben in kleinen Dingen leichter machen, haben wir mehr Kapazität für das, was wirklich zählt.
Manchmal frage ich mich, warum es so lange gedauert hat, bis wir das umgesetzt haben. Die Idee ist ja nicht neu. Aber ich glaube, es liegt daran, dass man erst an einen bestimmten Punkt kommen muss – an einen Punkt, wo der Leidensdruck groß genug ist, um etwas zu ändern. Solange es halbwegs läuft, macht man weiter wie bisher. Erst wenn es wirklich nicht mehr geht, ist man bereit, neue Wege auszuprobieren.
Das ist vielleicht auch eine wichtige Erkenntnis: Veränderung braucht oft einen Auslöser. Bei uns war es dieser chaotische Dienstagmorgen, an dem mir der Kragen geplatzt ist. Vorher habe ich zwar auch schon genervt über die Morgen, aber ich habe nichts geändert. Erst als ich wirklich gesagt habe: „So geht es nicht weiter", sind wir aktiv geworden.
Ich glaube, das ist bei vielen Dingen im Leben so. Wir wissen oft, was wir ändern sollten – mehr Sport, gesünder essen, mehr Zeit für uns selbst nehmen. Aber wir tun es erst, wenn der Leidensdruck groß genug ist oder wenn wir einen konkreten Anlass haben. Und das ist okay. Niemand kann alles auf einmal ändern. Manchmal muss man erstmal an den Punkt kommen, wo man sagt: Jetzt reicht's.
Was ich auch spannend finde: Diese kleine Veränderung hat mir gezeigt, dass ich mehr Kontrolle über meinen Alltag habe, als ich dachte. Lange habe ich mich als Opfer der Umstände gefühlt – die Kinder, die Arbeit, der Haushalt, alles ist so viel, und ich komme nicht hinterher. Aber durch diese einfache Routine habe ich gemerkt: Ich kann etwas tun. Ich bin nicht hilflos. Ich kann kleine Schritte machen, die etwas verändern. Und das gibt mir ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, das über das Frühstück hinausgeht.
Psychologen nennen das „Locus of Control" – das Ausmaß, in dem Menschen glauben, dass sie ihr Leben selbst beeinflussen können. Menschen mit einem hohen internen Locus of Control glauben, dass sie durch ihre Handlungen etwas bewirken können. Menschen mit einem externen Locus of Control fühlen sich eher als Opfer äußerer Umstände. Und ich merke, dass diese kleine Morgenroutine meinen Locus of Control verschoben hat – von extern nach intern. Ich habe das Gefühl, dass ich gestalten kann, nicht nur reagieren muss.
Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis aus dieser ganzen Geschichte: Es geht nicht nur um Overnight-Oats und geschnittenes Brot. Es geht darum, dass wir gelernt haben, aktiv zu werden statt passiv zu leiden. Dass wir uns nicht mehr nur vom Alltag treiben lassen, sondern kleine Entscheidungen treffen, die uns das Leben leichter machen.
Und weißt du, was das Schönste ist? Es muss nicht perfekt sein. Manche Morgen laufen immer noch schief. Manche Abende vergessen wir die Vorbereitung. Aber wir haben eine Basis geschaffen, zu der wir immer wieder zurückkehren können. Und das gibt Sicherheit. Das gibt Ruhe.
Wenn ich jetzt morgens in die Küche komme und sehe, dass das Frühstück vorbereitet ist, dann lächle ich manchmal. Nicht weil alles perfekt ist, sondern weil ich weiß: Wir kümmern uns um uns selbst. Wir machen uns das Leben ein bisschen leichter. Und das ist mehr wert, als man auf den ersten Blick denkt. Es ist ein kleiner Akt der Selbstfürsorge, ein Zeichen dafür, dass wir uns selbst wichtig nehmen. Und das ist, glaube ich, in der Hektik des Alltags manchmal das Wichtigste: sich selbst nicht zu vergessen.