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Der Sonntagabend, der unsere ganze Woche verändert hat

Winterberg 2025. 11. 14. 09:49

Sonntagabend – oder: wie wir gelernt haben, die Woche gemeinsam zu beginnen

Es ist Sonntagabend, kurz nach acht. Die Kinder sind im Bett, draußen wird es dunkel, und ich sitze hier am Küchentisch mit einer Tasse Tee in der Hand. Markus ist gerade noch in der Küche und sucht nach den Keksen, die wir gestern gekauft haben. „Wo sind die denn schon wieder hin?", ruft er. Ich schmunzle. Wahrscheinlich hat die Große sie gefunden und irgendwo versteckt. Das ist so typisch für uns – selbst in den ruhigen Momenten läuft irgendwas schief.

Aber genau das ist der Punkt: Diese Sonntagabende haben für uns eine ganz besondere Bedeutung bekommen. Es ist dieser seltsame Moment zwischen dem, was war, und dem, was kommt. Das Wochenende liegt hinter uns – mit allem Schönen und manchmal auch Anstrengenden – und die neue Woche steht vor der Tür. Früher war das bei uns immer mit einem diffusen Unbehagen verbunden. So ein Gefühl von: Ach nein, schon wieder Montag. Schon wieder diese Hektik.

Ich weiß noch, wie das früher war. Sonntagabend bedeutete bei uns: Markus saß mit dem Laptop auf dem Sofa und versuchte noch schnell Mails zu beantworten oder sich auf Meetings vorzubereiten. Ich stand in der Waschküche und sortierte die Wäsche, weil ich am Wochenende natürlich nicht dazu gekommen war. Die Kinder waren müde und quengelig, weil sie spürten, dass das Wochenende vorbei ist. Und irgendwie waren wir alle ein bisschen gereizt. Diese Mischung aus Erschöpfung und Anspannung – kennst du das?

Was mich an diesen Sonntagabenden am meisten gestört hat, war dieses Gefühl von Unabgeschlossenheit. Das Wochenende war zu Ende, aber es fühlte sich nicht abgeschlossen an. Und die neue Woche hatte noch nicht begonnen, aber sie hing schon über uns wie eine dunkle Wolke. Wir waren irgendwo dazwischen gefangen, und das war kein angenehmer Ort.

Irgendwann – ich glaube, es war letzten Herbst, als die Tage schon früh dunkel wurden und diese melancholische Stimmung in der Luft lag – habe ich zu Markus gesagt: „Wir müssen was ändern. Ich halte diese Sonntagabende nicht mehr aus." Er hat mich überrascht angeschaut. „Mir geht's genauso", hat er gesagt. Und dann haben wir angefangen zu reden. Über das, was uns stört, über das, was wir brauchen würden, über das, was wir uns wünschen.

Es war kein großes Drama, sondern eher so ein ruhiges Gespräch. Wir saßen auf der Couch, jeder mit einer Tasse Tee, und haben einfach mal laut gedacht. Markus meinte, dass er sich immer unter Druck fühlt, die Woche perfekt vorbereitet zu starten. Als würde er es sonst nicht schaffen. Ich habe erzählt, dass ich mich oft überfordert fühle von all den Dingen, die in einer Woche passieren – Termine, Einkäufe, Verpflichtungen. Und dass ich manchmal das Gefühl habe, die Woche passiert einfach mit uns, anstatt dass wir sie gestalten.

Das war interessant. Wir haben beide das gleiche Problem beschrieben, nur mit anderen Worten. Wir fühlten uns beide fremdgesteuert. Als würde die Woche über uns hereinbrechen, anstatt dass wir ihr mit einem Plan begegnen. Und das hat uns erschöpft.

Ich habe dann angefangen zu recherchieren – so wie ich das mache, wenn mich etwas beschäftigt. Und dabei bin ich auf das Konzept des „Weekly Review" gestoßen, das aus der Produktivitätsecke kommt, aber eigentlich viel mehr ist als nur Zeitmanagement. Die Idee ist, dass man sich am Ende der Woche Zeit nimmt, zurückzuschauen und vorauszu­schauen. Nicht um alles zu kontrollieren, sondern um sich zu orientieren.

Was mich daran fasziniert hat, war die psychologische Dimension. Es gibt Forschung darüber, wie wichtig Übergänge für unser Wohlbefinden sind. Unser Gehirn braucht Abschlüsse und Anfänge, um Erfahrungen zu verarbeiten und sich auf Neues einzustellen. Wenn wir einfach von einem Tag in den nächsten stolpern, ohne innezuhalten, entsteht dieses Gefühl von Getriebensein. Aber wenn wir bewusst Übergänge gestalten – kleine Rituale schaffen, die einen Abschnitt beenden und einen neuen beginnen – fühlen wir uns orientierter und ruhiger.

Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Vielleicht war unser Problem mit den Sonntagabenden nicht, dass wir zu viel zu tun hatten oder zu wenig Zeit. Vielleicht war es, dass wir keinen bewussten Übergang geschaffen haben. Wir haben das Wochenende einfach enden lassen und die Woche einfach beginnen lassen, ohne einen Moment des Innehaltens dazwischen.

Also haben wir beschlossen, etwas auszuprobieren. Ganz klein, ganz simpel. Nichts Aufwendiges. Wir wollten uns Sonntagabend eine halbe Stunde nehmen – nur wir beide, nachdem die Kinder im Bett sind – um die Woche gemeinsam zu beginnen. Nicht zu planen im stressigen Sinne, sondern eher um uns abzustimmen. Um zu wissen, was kommt. Um uns zu verbinden.

Am ersten Sonntag, als wir das gemacht haben, fühlte es sich noch komisch an. Fast ein bisschen inszeniert. Markus hat Tee gemacht, ich habe eine Kerze angezündet – was ich sonst eigentlich nie mache, weil ich solche Dinge immer ein bisschen kitschig finde. Aber irgendwie passte es. Das warme Licht, der Duft des Tees, die Stille nach dem hektischen Wochenende. Es war wie ein Signal: Jetzt ist ein anderer Moment.

Wir haben uns hingesetzt und erst mal einfach nur dagesessen. Schweigend. Und das war okay. Es musste nicht sofort losgehen mit Planen und Organisieren. Es war einfach dieser Moment des Ankommens. Ich habe gemerkt, wie meine Schultern sich entspannten. Wie die Anspannung ein bisschen nachließ.

Dann haben wir angefangen zu reden. Ganz locker, ohne Agenda. Markus hat gefragt: „Worauf freust du dich diese Woche?" Ich musste erst überlegen. Worauf freue ich mich? Ehrlich gesagt war mein erster Impuls: Auf gar nichts, die Woche wird stressig. Aber dann habe ich tiefer gegraben und festgestellt: Doch, es gibt Dinge. Ein Treffen mit einer Freundin am Mittwoch. Ein neues Rezept, das ich ausprobieren will. Ein Projekt bei der Arbeit, das endlich in die heiße Phase geht. Kleine Dinge, aber sie waren da.

Und dann die Gegenfrage: „Was würdest du gerne vermeiden?" Da musste ich nicht lange überlegen. Diese eine lästige Besprechung, die immer zu lang geht und zu nichts führt. Der Zahnarzttermin, den ich schon dreimal verschoben habe. Der Berg an Wäsche, der sich akkumuliert hat. Es war fast lustig, das laut auszusprechen. Als würde es weniger bedrohlich werden, wenn man es benennt.

Markus hat das Gleiche gemacht. Er freut sich auf ein Meeting mit einem Kunden, mit dem die Zusammenarbeit gut läuft. Er möchte endlich mal wieder joggen gehen. Und er würde gerne vermeiden, dass die Diskussion über die Hausaufgaben mit unserem Großen wieder eskaliert. Wir mussten beide lachen. Die Hausaufgaben. Ein Dauerthema bei uns.

Aber weißt du, was passiert ist? Allein dadurch, dass wir das ausgesprochen haben, hat sich etwas verschoben. Es war nicht mehr nur so ein diffuses „die Woche wird anstrengend", sondern es bekam Konturen. Es gab konkrete Dinge, auf die wir uns freuen konnten, und konkrete Herausforderungen, denen wir begegnen mussten. Und das gab uns ein Gefühl von Handlungsfähigkeit.

Ich habe später gelesen, dass es in der positiven Psychologie eine Technik gibt, die „Anticipation" heißt – die bewusste Vorfreude auf kommende Ereignisse. Studien zeigen, dass Menschen, die sich regelmäßig Zeit nehmen, um sich auf positive Dinge zu freuen, glücklicher sind. Nicht nur in dem Moment, wenn das Ereignis dann tatsächlich stattfindet, sondern schon in der Zeit davor. Die Vorfreude selbst hat einen positiven Effekt auf unser Wohlbefinden.

Und gleichzeitig ist es hilfreich, Herausforderungen zu benennen. Nicht um sich darauf zu fixieren oder in Katastrophendenken zu verfallen, sondern um mental darauf vorbereitet zu sein. Wenn ich weiß, dass diese nervige Besprechung kommt, kann ich mich darauf einstellen. Ich bin nicht überrascht oder überrumpelt. Ich kann mir überlegen, wie ich damit umgehe.

Nach diesem ersten Gespräch haben wir dann eine kleine Liste gemacht. Ganz pragmatisch. Was steht diese Woche an? Wer hat wann welche Termine? Wer braucht wann das Auto? Was muss eingekauft werden? Was muss organisiert werden?

Das klingt jetzt vielleicht banal, aber es war tatsächlich hilfreich. Nicht weil wir dadurch plötzlich alles unter Kontrolle hatten – das ist eine Illusion, die wir längst aufgegeben haben. Sondern weil wir beide wussten, was kommt. Wir waren im selben Film. Es gab keine bösen Überraschungen am Montagmorgen, wenn plötzlich beide das Auto brauchen oder wenn ich feststelle, dass ich für ein Treffen etwas vorbereiten muss, von dem Markus nichts wusste.

Diese Abstimmung hat auch etwas mit uns als Paar gemacht. Wir haben gemerkt, wie oft wir sonst einfach nebeneinander her leben. Jeder in seinem Strudel aus Terminen und Verpflichtungen. Wir kommunizieren zwar – aber oft nur im Modus „Ich brauche noch X" oder „Kannst du Y machen?". Dieses Sonntagabend-Ritual gibt uns einen Moment, wo wir nicht nur funktional miteinander reden, sondern wo wir uns abstimmen. Wo wir als Team agieren.

Ich habe gelesen, dass eines der größten Probleme in modernen Beziehungen die mangelnde Koordination ist. Wir leben in komplexen Strukturen – Arbeit, Kinder, Haushalt, soziale Verpflichtungen – und das erfordert enorm viel Abstimmung. Aber oft nehmen wir uns dafür keine Zeit. Wir versuchen, alles im Vorbeigehen zu klären, zwischen Tür und Angel. Und das führt zu Missverständnissen, zu Konflikten, zu dem Gefühl, dass der Partner einen nicht unterstützt oder nicht mitdenkt.

Indem wir uns Sonntagabend bewusst diese Zeit nehmen, schaffen wir einen Rahmen für Abstimmung. Es ist nicht perfekt, und es klappt auch nicht immer. Aber es ist ein Anker. Ein fester Punkt in der Woche, an dem wir wissen: Jetzt reden wir. Jetzt schauen wir gemeinsam, was kommt.

Die Kinder haben das übrigens mitbekommen. Nach ein paar Wochen hat die Große gefragt: „Was macht ihr da immer sonntags?" Wir haben es ihr erklärt. Sie fand das interessant und wollte auch mitmachen. Also haben wir das Ritual erweitert. Jetzt setzen wir uns manchmal alle zusammen – natürlich früher am Abend, bevor die Kinder ins Bett gehen. Jeder erzählt, worauf er sich in der neuen Woche freut und was er nicht so gerne mag.

Das ist manchmal sehr aufschlussreich. Der Kleine hat neulich gesagt, er freue sich auf Sport am Mittwoch, aber er habe Angst vor dem Mathetest am Freitag. Das wussten wir gar nicht. Wir haben dann mit ihm darüber gesprochen und überlegt, wie wir ihn unterstützen können. Ohne dieses Ritual hätten wir das vielleicht erst am Freitag erfahren, wenn er schon total gestresst gewesen wäre.

Die Große hat erzählt, dass sie sich auf die Geburtstagsfeier ihrer Freundin freut, aber dass sie Stress hat, weil sie noch kein Geschenk hat. Also haben wir zusammen überlegt, was sie schenken könnte, und einen Termin gefunden, um es zu besorgen. Problem gelöst, bevor es zu einem Drama am Tag vor der Feier wird.

Es ist interessant, wie viel man erfährt, wenn man einfach mal fragt und zuhört. Im Alltag gehen solche Dinge oft unter. Die Kinder erzählen etwas, aber wir hören nur halb hin, weil wir gerade kochen oder aufräumen oder gedanklich schon bei der nächsten Aufgabe sind. Aber in diesem ruhigen Moment am Sonntagabend, wenn wir alle am Tisch sitzen und Zeit haben, können wir wirklich zuhören. Und das merken die Kinder.

In der Entwicklungspsychologie gibt es das Konzept der „Quality Time" – der qualitativen Zeit, die Eltern mit ihren Kindern verbringen. Es geht nicht nur darum, wie viel Zeit man miteinander verbringt, sondern wie präsent man in dieser Zeit ist. Zehn Minuten voll präsenter, aufmerksamer Austausch sind wertvoller als eine Stunde, in der man zwar physisch anwesend ist, aber mental woanders.

Diese Sonntagabende sind für uns zu so einer Quality Time geworden. Nicht nur zwischen Markus und mir, sondern auch mit den Kindern. Es ist ein Moment, wo wir alle wirklich da sind. Wo wir nicht nebenbei noch tausend andere Dinge machen, sondern einfach beisammen sitzen und reden.

Natürlich läuft nicht immer alles glatt. Es gibt Sonntage, da sind wir alle müde und haben keine Lust. Es gibt Sonntage, da wird das Ritual albern – die Kinder kichern und machen Witze, und wir kommen nicht wirklich zu vernünftigen Gesprächen. Aber das ist okay. Es muss nicht perfekt sein. Es geht um den Versuch, um die Intention, einen Raum zu schaffen für Verbindung und Orientierung.

Manchmal wird es auch ernst. Neulich hat Markus erzählt, dass er sich Sorgen um ein Projekt bei der Arbeit macht. Er war unsicher, ob er es schaffen würde. Die Kinder haben zugehört, und die Große hat gesagt: „Papa, du schaffst das bestimmt." So ein kleiner Moment, aber er hat Markus sichtlich berührt. Er hat gemerkt, dass er nicht alleine ist mit seinen Sorgen. Dass wir als Familie füreinander da sind.

Ich habe auch angefangen, Dinge zu erzählen, die mich beschäftigen. Nicht alle Details, die Kinder müssen nicht alles wissen. Aber grundsätzlich: Was mich bewegt, was mich freut, was mich herausfordert. Und ich merke, dass das auch den Kindern hilft. Sie sehen, dass wir Erwachsenen auch nicht alles im Griff haben. Dass auch wir uns auf Dinge freuen und vor Dingen Angst haben. Dass wir Menschen sind, nicht perfekte Elternmaschinen.

In vielen Familien gibt es dieses Schweigen über die eigenen Gefühle und Herausforderungen. Eltern wollen die Kinder nicht belasten und halten vieles zurück. Aber ich glaube, das ist ein Fehler. Kinder profitieren davon, wenn sie sehen, dass Erwachsene auch Gefühle haben und dass man über Schwierigkeiten reden kann. Natürlich muss man es altersgerecht machen, aber grundsätzlich finde ich es wichtig, authentisch zu sein.

Nach dem gemeinsamen Teil mit den Kindern, wenn sie dann im Bett sind, setzen Markus und ich uns nochmal zusammen und machen unsere eigene Runde. Da geht es dann detaillierter um die Woche. Wir schauen in unsere Kalender. Wer hat wann was? Wo gibt es Überschneidungen? Wo müssen wir organisieren?

Wir machen auch eine kleine Liste mit den Dingen, die erledigt werden müssen. Nicht eine riesige To-Do-Liste, die uns erschlägt, sondern wirklich nur die wichtigsten Dinge. Essen einkaufen. Arzttermin vereinbaren. Geschenk besorgen. Solche Sachen. Und wir verteilen die Aufgaben. Markus kümmert sich um X, ich kümmere mich um Y. Das klingt unromantisch, aber es ist tatsächlich entlastend. Wir wissen beide, wer wofür zuständig ist, und müssen nicht erst am Mittwoch diskutieren, wer denn jetzt eigentlich den Einkauf machen wollte.

Es gibt auch eine mentale Komponente bei diesem Ritual, die mir erst nach und nach bewusst geworden ist. Indem wir uns sonntags hinsetzen und die Woche anschauen, bereiten wir uns mental vor. Wir visualisieren, was kommt. Und das hilft unserem Gehirn, besser damit umzugehen.

In der Sportpsychologie gibt es die Technik der Visualisierung – Athleten stellen sich vor, wie sie einen Wettkampf bestreiten, wie sie erfolgreich sind. Studien zeigen, dass diese mentale Vorbereitung tatsächlich die Leistung verbessert. Nicht weil man dadurch plötzlich körperlich besser wird, sondern weil das Gehirn sich auf die Situation einstellt und einen Plan hat.

Ähnlich ist es bei uns. Wenn ich mir sonntags vorstelle, wie die Woche ablaufen wird, bin ich besser darauf vorbereitet. Ich bin nicht überrascht, wenn am Dienstag dieser wichtige Termin ansteht. Ich habe mich mental darauf eingestellt. Und das reduziert Stress.

Interessanterweise hat dieses Ritual auch etwas mit unserer Beziehung gemacht, das ich nicht erwartet hatte. Wir reden mehr miteinander. Nicht nur über organisatorische Dinge, sondern auch über Gefühle, über Wünsche, über Ängste. Dieser Sonntagabend ist ein geschützter Raum geworden, in dem wir auch mal tiefere Gespräche führen können.

Neulich haben wir zum Beispiel darüber gesprochen, wie wir uns die nächsten Jahre vorstellen. Wo wir hinwollen, was uns wichtig ist. Das sind Gespräche, die man im Alltagstrubel nicht führt. Da geht es um Wäsche und Einkaufen und wer die Kinder abholt. Aber an diesen Sonntagabenden, wenn wir Zeit haben und in Ruhe beisammen sitzen, entstehen solche Gespräche manchmal ganz von selbst.

Es gibt Untersuchungen dazu, dass Paare, die regelmäßig Zeit für Gespräche jenseits des Alltagsmanagements haben, zufriedener sind in ihrer Beziehung. Es geht nicht nur darum, zusammen zu funktionieren, sondern sich auch als Menschen zu begegnen. Sich zu interessieren für das, was den anderen bewegt. Sich auszutauschen über mehr als nur die Logistik des Lebens.

Das ist vielleicht einer der wertvollsten Aspekte dieses Rituals: Es schafft Raum für Verbindung. Nicht romantische Verbindung im klassischen Sinne – wir sitzen ja nicht mit Kerzenschein und Rotwein da und schauen uns tief in die Augen. Aber es ist eine andere Art von Verbindung. Eine, die darauf basiert, dass wir ein Team sind. Dass wir gemeinsam durch diese verrückte Zeit namens Leben navigieren.

Ich finde es auch bemerkenswert, wie sehr dieses kleine Ritual unsere Sicht auf die Woche verändert hat. Früher war die Woche einfach eine Abfolge von Tagen, die passieren. Montag, Dienstag, Mittwoch. Manchmal gut, manchmal schlecht, meistens irgendwo dazwischen. Heute fühlt sich die Woche mehr wie eine Einheit an. Sie hat einen Anfang – unseren Sonntagabend – und ein Ende – den Freitag, wenn wir aufatmen und ins Wochenende starten.

Diese Struktur gibt mir persönlich viel Halt. Ich bin jemand, der schnell das Gefühl hat, im Chaos zu versinken. Zu viele Termine, zu viele Aufgaben, zu viele Anforderungen. Aber wenn ich weiß, dass wir sonntags gemeinsam schauen, was kommt, und dass wir einen Plan haben, fühle ich mich weniger überfordert. Es ist nicht so, dass plötzlich weniger zu tun ist, aber es fühlt sich handhabbarer an.

Markus geht es ähnlich. Er hat mir mal gesagt, dass er früher oft das Gefühl hatte, die Woche läuft ab und er rennt nur hinterher. Heute hat er mehr das Gefühl, dass wir die Woche gestalten. Auch wenn natürlich viel passiert, das wir nicht kontrollieren können. Aber wir haben einen Rahmen. Wir haben unseren gemeinsamen Start. Und das gibt Orientierung.

Kulturell gesehen ist das übrigens interessant. In vielen traditionellen Gesellschaften gibt es feste Rituale, die den Übergang von einem Zeitabschnitt zum nächsten markieren. Der Sabbat im Judentum zum Beispiel markiert das Ende der Woche und gibt einen klaren Rhythmus vor. In manchen Kulturen gibt es Sonntags­rituale – das gemeinsame Essen, der Kirchgang, was auch immer. Diese Rituale schaffen Struktur und Gemeinschaft.

In unserer modernen, individualisierten Gesellschaft sind viele dieser Rituale verloren gegangen. Wir haben mehr Freiheit, aber auch weniger Struktur. Jeder gestaltet seine Zeit, wie er will. Das ist einerseits schön, andererseits kann es auch überfordern. Ich glaube, dass viele Menschen sich nach Ritualen sehnen, nach festen Punkten, an denen sie sich orientieren können.

Unser Sonntagabend-Ritual ist so ein fester Punkt geworden. Es ist nichts Großes, nichts Spektakuläres. Aber es ist verlässlich. Es ist da. Und das gibt uns Sicherheit in einer Welt, die oft chaotisch und unvorhersehbar ist.

Natürlich gibt es auch Sonntage, an denen wir das Ritual ausfallen lassen. Wenn wir Besuch haben oder wegfahren oder einfach zu müde sind. Und das ist okay. Es geht nicht darum, starr einen Plan durchzuziehen. Es geht darum, eine Gewohnheit zu etablieren, zu der wir immer wieder zurückkehren können.

Was ich auch gelernt habe: Man kann so ein Ritual nicht erzwingen. Am Anfang mussten wir uns bewusst daran erinnern und es aktiv einplanen. Jetzt ist es einfach Teil unseres Sonntagabends geworden. Es fühlt sich natürlich an. Wir vermissen es, wenn es mal ausfällt.

Und wenn dann Montagmorgen das Chaos ausbricht – weil jemand seine Schuhe nicht findet oder wir vergessen haben, Brot zu kaufen oder einfach alles drunter und drüber geht – dann kann ich daran denken: Wir haben es wenigstens versucht. Wir haben uns vorbereitet, so gut wir konnten. Und allein das Wissen, dass wir gemeinsam gestartet sind, dass wir beide wissen, was diese Woche kommt, macht es ein bisschen leichter.

Es ist kein Zaubermittel. Es macht nicht plötzlich alles perfekt. Aber es gibt uns ein Gefühl von Kontrolle, von Gemeinschaft, von Orientierung. Und in einer Welt, die oft so unübersichtlich ist, ist das viel wert.

Manchmal sitze ich sonntagabends am Küchentisch, mit meiner Tasse Tee und der Kerze, und denke: Das ist es. Das ist das Leben. Nicht perfekt, nicht makellos, aber echt. Wir versuchen unser Bestes. Wir kümmern uns umeinander. Wir schaffen kleine Inseln der Ruhe im Sturm des Alltags. Und wenn ich dann in die neue Woche starte, mit all ihren Herausforderungen und Überraschungen, fühle ich mich ein bisschen weniger allein. Weil ich weiß: Wir machen das zusammen.