Als das Baby über uns jede Nacht schrie – und warum sich alles plötzlich änderte

Das Baby im dritten Stock
Vor ungefähr sechs Wochen sind sie eingezogen. Die neuen Nachbarn im dritten Stock, direkt über uns. Junges Paar, beide Ende zwanzig würde ich schätzen, freundlich, ein bisschen erschöpft wirkend. Und sie hatten ein Baby dabei. Winzig klein, in so einer Babyschale, dick eingepackt, obwohl es draußen noch warm war.
Wir haben sie im Treppenhaus getroffen, als sie gerade ihre ersten Kartons hochgeschleppt haben. „Hallo, wir sind die Neuen", hat sie gesagt, und er hat nur müde gelächelt. Das Baby hat geschlafen. Friedlich, still, wie Babys eben aussehen, wenn sie schlafen. Ich erinnere mich, dass ich dachte: Oh, wie süß. Ein Baby im Haus.
Markus hat ihnen beim Tragen geholfen, ein paar Kisten, nichts Schweres. Wir haben kurz geplaudert. Sie heißen Sarah und Tom, das Baby heißt Emma, drei Monate alt. „Schläft sie gut?", hab ich gefragt, so aus Höflichkeit. Sarah hat gelacht. So ein Lachen, das eigentlich heißt: Bist du verrückt? „Naja", hat sie gesagt. „Es wird langsam besser."
In den ersten Tagen war es tatsächlich okay. Tagsüber haben wir ab und zu ein leises Quieken gehört, wenn wir im Wohnzimmer waren. So ein zartes Baby-Geräusch, das durchs Treppenhaus hallt und irgendwie auch niedlich klingt. Markus meinte: „Die Akustik hier ist echt interessant. Man hört alles." Aber es war nicht störend. Nur da. Eine Erinnerung daran, dass jetzt ein Baby im Haus wohnt.
Dann kam die erste Nacht. Ich weiß noch, es war ein Donnerstag. Oder Freitag? Egal. Auf jeden Fall mitten in der Woche. Ich lag im Bett, hatte gerade angefangen wegzudösen, als ich es hörte. Dieses Schreien. Nicht laut, nicht direkt neben mir, aber deutlich hörbar durch die Decke. Ein Baby, das weint.
Ich hab die Augen aufgemacht, kurz gelauscht, gedacht: Okay, das hört gleich wieder auf. Babys weinen halt manchmal. Aber es hörte nicht auf. Es wurde lauter. Durchdringender. Und dann, nach vielleicht zehn Minuten – oder waren es zwanzig? Die Zeit fühlt sich nachts immer anders an – wurde es leiser. Und schließlich still.
Ich bin wieder eingeschlafen. Markus hat nichts mitgebekommen, der schläft wie ein Stein. Ich hab am nächsten Morgen nichts gesagt, weil ich dachte: War ja nur einmal. Kommt vor.
Aber dann war es wieder. Und wieder. Fast jede Nacht. Manchmal um Mitternacht, manchmal um zwei, manchmal um drei. Und manchmal mehrmals in einer Nacht. Das Baby hat geschrien, und ich hab wach gelegen und auf die Decke gestarrt und gehofft, dass es bald aufhört.
Nach zwei Wochen hat auch Markus angefangen, es zu bemerken. Eines Morgens beim Frühstück sah er müde aus, ungewöhnlich müde. „Hast du das Baby letzte Nacht auch gehört?", hat er gefragt. Ich hab genickt. „Ich halt das nicht mehr aus", hat er gebrummelt, halb ins Brötchen hinein. Nicht wütend, eher resigniert.
Ich hab nichts gesagt. Weil mir in dem Moment was eingefallen ist. Eine Erinnerung, die ich fast schon verdrängt hatte. 2014. Unsere Tochter Lena war gerade geboren. Drei, vier Monate alt. Und sie hat geschrien. Jede Nacht. Manchmal stundenlang.
Ich weiß noch, wie verzweifelt wir waren. Wie hilflos. Wir haben alles versucht: stillen, wiegen, singen, rumlaufen, Schnuller, kein Schnuller, mehr Licht, weniger Licht, wärmere Decke, dünnere Decke. Nichts hat geholfen. Sie hat einfach geschrien. Und wir haben nicht gewusst, warum.
Und wir haben in einer Wohnung gewohnt, genau wie Sarah und Tom jetzt. Mit Nachbarn unter uns, neben uns, über uns. Die haben das auch gehört. Ganz sicher. Aber niemand hat sich beschwert. Niemand hat geklingelt und gesagt: „Können Sie das Baby nicht leiser machen?" Weil – wie sollten wir das?
„Erinner dich an Lena, 2014", hab ich zu Markus gesagt. Er hat kurz innegehalten, dann genickt. „Stimmt. Okay. Punkt für dich."
Aber trotzdem. Nach drei Wochen war ich so müde, dass ich angefangen hab, mich zu fragen: Kann man da eigentlich was machen? Rechtlich gesehen? Gibt es so was wie eine Nachtruhe, die auch für Babys gilt? Kann man sich beschweren? Beim Vermieter, bei der Hausverwaltung?
Ich hab gegoogelt. Natürlich. Was macht man sonst, wenn man um halb vier morgens wach liegt und ein Baby über einem schreit? Man holt sein Handy raus und sucht nach Antworten.
Die Ergebnisse waren ziemlich eindeutig. Babys gelten rechtlich nicht als Lärmbelästigung. Ihre Geräusche – egal ob Weinen, Schreien, Quengeln – sind als „sozialadäquat" einzustufen. Das bedeutet: Sie gehören zum normalen Leben dazu. Man kann sie nicht verbieten, man kann sie nicht verhindern, und man kann sich nicht erfolgreich dagegen beschweren.
Es gibt tatsächlich mehrere Gerichtsurteile dazu. Eins, das ich gefunden habe, war vom Landgericht Hamburg. Da hatte ein Nachbar versucht, gegen die Eltern eines schreienden Babys vorzugehen, wollte eine Unterlassungserklärung oder so was. Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Die Begründung war, dass Babys nun mal schreien und dass das zum Zusammenleben in einem Mehrfamilienhaus gehört. Eltern können von ihren Babys nicht verlangen, dass sie leise sind. Babys können das nicht. Also müssen die Nachbarn das hinnehmen.
Ein anderes Urteil, vom Amtsgericht München, ging in die gleiche Richtung. Da ging es um ein Baby, das nachts regelmäßig stundenlang geschrien hat. Der Nachbar darunter wollte eine Mietminderung wegen Lärmbelästigung. Auch hier: abgelehnt. Die Richter sagten, dass Kinderlärm – und dazu gehört eben auch Babygeschrei – hingenommen werden muss. Das ist sozial üblich und nicht vermeidbar.
Ich hab Markus am nächsten Morgen davon erzählt. Er hat nur geseufzt. „Also müssen wir das aushalten." Ja, hab ich gesagt. Genau das.
Aber dann hab ich noch weitergelesen, weil mich das Thema nicht losgelassen hat. Und dabei bin ich auf was Interessantes gestoßen. Es gibt nämlich Unterschiede. Nicht beim Baby selbst – das darf schreien, so viel es will. Aber bei den Eltern. Die haben eine sogenannte Rücksichtnahmepflicht.
Das bedeutet: Sie müssen alles Zumutbare tun, um die Lautstärke zu reduzieren. Nicht das Schreien selbst, das können sie ja nicht kontrollieren. Aber die Rahmenbedingungen. Zum Beispiel: Wenn das Baby im Wohnzimmer schreit und das Wohnzimmer direkt über dem Schlafzimmer des Nachbarn liegt, sollten die Eltern versuchen, das Baby in ein anderes Zimmer zu bringen. Oder wenn sie nachts mit dem schreienden Baby durchs Wohnzimmer laufen, sollten sie das leise tun – also nicht in Straßenschuhen oder mit lauter Musik im Hintergrund.
Es geht darum, dass die Eltern sich bemühen. Dass sie nicht einfach sagen: „Ist uns egal, das Kind schreit halt." Sondern dass sie versuchen, die Auswirkungen auf die Nachbarn so gering wie möglich zu halten.
Und ehrlich gesagt: Das ist auch richtig so. Babys können nichts dafür, dass sie schreien. Sie haben keine andere Möglichkeit zu kommunizieren. Sie sind müde, sie haben Hunger, ihnen tut was weh, sie fühlen sich unwohl – und sie schreien. Das ist ihr einziges Werkzeug. Aber die Eltern können etwas tun. Nicht um das Baby zum Schweigen zu bringen, aber um die Situation für alle erträglicher zu machen.
Ich hab dann angefangen, mehr auf die Geräusche von oben zu achten. Nicht aus Neugier, sondern einfach, weil ich wach lag und nichts anderes zu tun hatte. Und mir ist aufgefallen: Sarah und Tom bemühen sich. Wenn Emma schreit, hört man, dass sie mit ihr rumlaufen. Leise Schritte, gedämpfte Stimmen. Sie reden mit ihr, versuchen sie zu beruhigen. Manchmal hört man auch, dass sie singen. Ganz leise, fast nicht hörbar, aber es ist da.
Sie machen nicht einfach die Tür zum Kinderzimmer zu und lassen sie schreien. Sie sind da, sie kümmern sich. Und irgendwie hat mir das geholfen. Nicht weil es leiser wurde – das wurde es nicht. Aber weil ich gewusst hab: Die tun, was sie können.
Markus fand das rührend. „Die armen Leute", hat er gemeint. „Die sind wahrscheinlich noch müder als wir." Und das stimmt ja auch. Wir werden nachts wach und können irgendwann wieder einschlafen. Aber Sarah und Tom? Die müssen aufstehen. Müssen das Baby beruhigen, wickeln, füttern, wiegen. Und das jede Nacht, mehrmals.
Ich hab mich gefragt, ob wir was tun können. Nicht im Sinne von „die beschweren sich", sondern im Sinne von „denen helfen". Aber was kann man schon tun bei einem schreienden Baby? Man kann es nicht abnehmen, nicht als Nachbar. Man kann den Eltern nicht sagen: „Hey, gebt mir mal das Kind, ich beruhige es." Das funktioniert nicht.
Aber man kann andere Dinge tun. Kleine Gesten. Zeigen, dass man Verständnis hat.
Also haben wir, eines Samstags morgens, geklingelt. Ich hatte zwei Tassen frischen Kaffee dabei, Markus einen kleinen Kuchen, den er am Vorabend gebacken hatte. Sarah hat aufgemacht, sah müde aus, hatte Emma auf dem Arm. Das Baby war wach, schaute uns mit großen Augen an, aber war still.
„Wir wollten nur kurz Hallo sagen", hab ich gesagt. „Und euch das hier vorbeibringen. Dachten, ihr könnt vielleicht etwas Energie gebrauchen."
Sarah hat fast angefangen zu weinen. Nicht aus Traurigkeit, sondern aus Erleichterung, glaube ich. „Das ist so lieb von euch", hat sie gesagt. „Ich dachte schon, ihr hasst uns, wegen Emma."
„Nein", hab ich gesagt. „Wir wissen, wie das ist. Wir hatten auch mal ein Baby. Das hat auch geschrien."
Wir haben kurz geplaudert, sind nicht reingegangen, weil wir nicht stören wollten. Aber Sarah hat uns erzählt, dass Emma gerade zahnt. Dass sie deshalb so viel schreit. Dass sie und Tom versuchen, alles Mögliche, aber dass es einfach eine schwere Phase ist.
„Es wird besser", hab ich gesagt. „Wirklich. Irgendwann schläft sie durch."
„Wann?", hat Sarah gefragt, halb scherzend, halb verzweifelt.
„Bei unserer Tochter war es mit sechs Monaten", hab ich gesagt. „Aber jedes Kind ist anders."
Als wir wieder unten waren, meinte Markus: „Das war gut. Dass wir das gemacht haben." Und ich fand das auch. Weil es die Situation verändert hat. Nicht das Schreien – das war immer noch da. Aber das Gefühl. Vorher war es: „Die Nachbarn nerven." Jetzt war es: „Die Nachbarn haben's schwer, und wir verstehen das."
Was mich an der ganzen Sache auch beschäftigt hat, war die Frage: Wie gehen andere Kulturen damit um? Ich meine, Babys schreien überall. Aber die Art, wie Gesellschaften damit umgehen, ist unterschiedlich.
Ich hab ein bisschen darüber gelesen. In manchen Ländern – zum Beispiel in südeuropäischen Kulturen – sind Kinder viel stärker ins öffentliche Leben integriert. Da nimmt man Babys mit ins Restaurant, ins Café, auf Feste. Und wenn sie schreien, ist das kein Drama. Die Leute drumherum akzeptieren das einfach.
In anderen Kulturen, besonders in nordeuropäischen oder auch in Teilen Asiens, gibt es mehr Erwartung an Ruhe und Ordnung. Da wird eher erwartet, dass Eltern ihre Kinder „im Griff" haben. Wobei das natürlich bei Babys schwierig ist, weil die eben nicht kontrollierbar sind.
In Deutschland sind wir irgendwo dazwischen, würde ich sagen. Es gibt eine gewisse Toleranz gegenüber Kinderlärm, auch rechtlich. Aber gleichzeitig gibt es auch Leute, die sich schnell gestört fühlen. Die erwarten, dass um 22 Uhr Ruhe ist, und zwar absolute Ruhe.
Aber das funktioniert nicht mit Babys. Die haben keine Uhr. Die schreien, wenn sie ein Bedürfnis haben, egal ob es 15 Uhr oder 3 Uhr nachts ist.
Was ich auch interessant fand: Es gibt Studien darüber, wie sich Babyschlaf über die Zeit verändert hat. Früher, vor hundert oder zweihundert Jahren, haben Babys anders geschlafen. Oft bei den Eltern im Bett, in einem Raum, wo immer Leben war. Sie sind aufgewacht, wurden gestillt, sind wieder eingeschlafen. Kein großes Drama.
Heute erwarten wir, dass Babys in ihrem eigenen Zimmer schlafen, möglichst durchschlafen, und wenn sie aufwachen, sollen sie schnell wieder einschlafen. Das ist eine ziemlich moderne Erwartung. Und sie entspricht nicht unbedingt dem, was Babys natürlicherweise tun würden.
Natürlich will ich nicht sagen, dass wir alle zurückgehen sollten zu den Bedingungen von vor zweihundert Jahren. Aber es ist interessant zu sehen, dass unsere Erwartungen manchmal nicht mit der Biologie von Babys übereinstimmen.
Markus fand das faszinierend. „Also sind wir die Verrückten, nicht die Babys", hat er gemeint. Irgendwie ja, hab ich gesagt.
Nach ein paar Wochen wurde es tatsächlich besser. Emma hat nicht mehr jede Nacht geschrien. Manchmal war es ruhig. Manchmal haben wir sie gehört, aber nur kurz. Sarah hat uns im Treppenhaus getroffen und gemeint, sie glaube, Emma gewöhne sich langsam an die Zähne. Oder sie schlafe einfach tiefer. Sie wusste es selbst nicht genau.
„Aber danke", hat sie noch gesagt. „Dafür, dass ihr so verständnisvoll wart. Nicht alle Nachbarn sind so."
Ich hab gefragt, ob es Beschwerden gab. Sie hat genickt. „Der Herr Müller von nebenan. Der hat uns einen Zettel in den Briefkasten geworfen. Dass wir das Baby gefälligst ruhig halten sollen."
Markus und ich haben uns angeguckt. Herr Müller. Der ältere Herr aus dem zweiten Stock, der immer ein bisschen grummelig ist. Ja, das passte.
„Was habt ihr gemacht?", hab ich gefragt.
„Tom wollte zurückschreiben", hat Sarah gesagt. „Aber ich hab ihm gesagt, lass es. Bringt nichts."
Sie hatte wahrscheinlich recht. Mit manchen Leuten kann man nicht diskutieren. Die verstehen nicht, dass Babys keine Maschinen sind, die man auf stumm schalten kann.
Aber es hat mich auch nachdenklich gemacht. Weil es zeigt, dass es unterschiedliche Arten gibt, mit solchen Situationen umzugehen. Man kann sich beschweren, Zettel schreiben, genervt sein. Oder man kann versuchen zu verstehen, Mitgefühl zu zeigen, vielleicht sogar zu helfen.
Beides ist eine Entscheidung. Und ich finde, die zweite Option ist die bessere. Nicht nur für die anderen, sondern auch für einen selbst. Weil man dann nicht mit Ärger und Frust rumläuft, sondern mit dem Gefühl: Ich hab was Gutes getan.
Seit damals bringen wir Sarah und Tom ab und zu was vorbei. Nicht jede Woche, aber wenn wir backen oder wenn wir Obst übrig haben oder einfach, wenn wir dran denken. Manchmal nur eine Kleinigkeit. Sie freuen sich immer. Und Emma ist inzwischen fünf Monate alt, lächelt schon, wenn sie uns sieht.
Nachts ist es meistens ruhig geworden. Nicht immer – manchmal hören wir sie noch. Aber es ist anders. Weil ich jetzt nicht mehr genervt bin, sondern denke: Die arme Emma. Und die armen Eltern. Und dann schlafe ich wieder ein.
Markus schläft sowieso wie ein Stein. Der würde wahrscheinlich nicht aufwachen, selbst wenn Emma direkt neben ihm schreien würde. Aber manchmal, wenn ich morgens erzähle, dass Emma in der Nacht wieder laut war, sagt er: „Hoffentlich wird's bald besser. Für die beiden."
Und das ist, glaube ich, die richtige Einstellung. Nicht: „Hoffentlich ist endlich Ruhe." Sondern: „Hoffentlich wird's für die besser." Weil es nicht um uns geht, sondern um sie. Um eine junge Familie, die gerade eine schwere Zeit durchmacht.
Ich hab neulich mit meiner Freundin Anna darüber gesprochen. Sie wohnt auch zur Miete, hat aber keine Kinder. Sie meinte, sie verstehe nicht, warum Leute mit kleinen Kindern in Mehrfamilienhäusern wohnen. „Das ist doch Stress für alle", hat sie gesagt.
Ich hab ihr erklärt, dass die meisten Leute keine große Auswahl haben. Wohnungen sind teuer, besonders größere Wohnungen oder Häuser. Viele junge Familien können sich keine Villa im Grünen leisten. Also wohnen sie zur Miete, in einem Mehrfamilienhaus, und versuchen, das Beste draus zu machen.
„Und die Nachbarn müssen das akzeptieren?", hat Anna gefragt.
„Ja", hab ich gesagt. „Genau wie Nachbarn akzeptieren müssen, dass du manchmal Musik hörst. Oder dass ich manchmal Freunde einlade. Oder dass Herr Müller manchmal um 7 Uhr morgens bohrt. Wir leben zusammen. Wir müssen Rücksicht nehmen, aber wir müssen auch tolerant sein."
Anna hat darüber nachgedacht. Ich glaube, sie hat es verstanden. Oder zumindest angefangen zu verstehen.
Heute, ein paar Monate nach dem Einzug von Sarah, Tom und Emma, ist das Leben im Haus wieder normal. Emma schreit manchmal noch, aber meistens ist es ruhig. Und wenn wir sie hören, denke ich nicht mehr: „Oh nein, schon wieder." Sondern: „Ach, die Kleine."
Es ist erstaunlich, wie sehr sich die eigene Perspektive ändern kann. Am Anfang war das Babygeschrei ein Problem. Etwas, das mich gestört hat, das mich wach gehalten hat, das mich genervt hat. Jetzt ist es einfach ein Teil des Lebens hier. Ein Geräusch, das dazugehört. Wie das Rauschen der Heizung im Winter oder das Vogelgezwitscher im Frühling.
Und ich glaube, das ist auch die Lektion, die ich aus dieser ganzen Geschichte gelernt habe. Dass man wählen kann, wie man auf Dinge reagiert. Man kann sich ärgern, kann sich beschweren, kann Zettel in Briefkästen werfen. Oder man kann versuchen zu verstehen, kann Mitgefühl zeigen, kann vielleicht sogar eine Tasse Kaffee vorbeibringen.
Das zweite ist nicht immer einfach. Besonders nicht, wenn man selbst müde ist und nur schlafen will. Aber es ist, glaube ich, der bessere Weg. Für alle Beteiligten.