Versicherungsnummer vertauscht?! Was uns passiert ist, kann jedem passieren

Letzte Woche passierte uns etwas, das ich wirklich nicht auf dem Schirm hatte. Meine Frau saß am Laptop, wollte sich ins Online-Portal ihrer Lebensversicherung einloggen, und plötzlich höre ich sie vom Arbeitszimmer rufen: „Schatz, komm mal her, das ist jetzt echt merkwürdig."
Ich schlurfte rüber, noch mit der Kaffeetasse in der Hand. Auf dem Bildschirm sah ich ihre Versicherungsübersicht – nur dass da der Name „Klaus Müller" stand. Nicht ihr Name. Ein völlig fremder Mensch. Aber ihre Versicherungsnummer, ihre Zugangsdaten, alles stimmte.
„Vielleicht hast du dich vertippt?", fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. „Ich hab's dreimal probiert. Immer kommt dieser Klaus Müller." Wir starrten beide auf den Bildschirm. Da stand tatsächlich: Geburtsdatum 15.03.1965, wohnhaft in Hamburg. Meine Frau ist 1979 geboren, und wir wohnen in München.
Der erste Gedanke war natürlich: Haben wir uns gehackt? Identitätsdiebstahl? Aber warum sollte jemand ihre Versicherungsdaten klauen und dann seinen echten Namen reinschreiben? Das ergab keinen Sinn.
Ich erinnerte mich an eine Geschichte, die mir mein Schwager vor Jahren erzählt hatte. Bei ihm war mal was Ähnliches passiert, allerdings mit seiner Krankenkassenkarte. Er ging zum Arzt, die Sprechstundenhilfe tippte seine Versicherungsnummer ein, und plötzlich stand da ein anderer Patient im System. Komplett andere Person, gleiche Nummer. Chaos pur. Die Praxis dachte erst, er wolle sich Leistungen erschleichen.
Bei meiner Frau war die Situation anders, aber genauso verwirrend. Sie rief erstmal bei der Hotline der Versicherung an. Nach der obligatorischen Warteschleife – diesmal mit Vivaldi, immerhin mal was anderes als diese Endlosschleife von synthetischer Entspannungsmusik – kam sie durch. Die Dame am anderen Ende klang erstmal skeptisch. „Das kann eigentlich nicht sein", meinte sie. „Jede Versicherungsnummer wird nur einmal vergeben."
Tja, „eigentlich". Meine Frau bestand darauf, dass sie sich das nicht einbildet. Die Dame tippte herum, murmelte was von „komisch" und „das ist ja seltsam", und dann: „Tatsächlich, da stimmt was nicht. Ich sehe hier zwei Verträge mit derselben Nummer."
Was dann folgte, war eine kleine Odyssee durch die Bürokratie der Versicherungswelt. Aber lasst mich erst mal erklären, was da überhaupt schiefgelaufen war. Versicherungsnummern werden normalerweise nach einem bestimmten System vergeben. Die meisten Versicherer nutzen eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen, oft mit integrierten Prüfziffern. Das ist ähnlich wie bei der IBAN – die letzte Ziffer prüft, ob die Nummer gültig ist. Theoretisch sollte das Doppelvergaben unmöglich machen.
In der Praxis sieht das manchmal anders aus. Gerade bei älteren Systemen, die über die Jahre gewachsen sind und mehrfach migriert wurden, können Fehler auftreten. Manchmal werden bei Fusionen von Versicherungen die Nummernsysteme nicht richtig zusammengeführt. Oder – und das war wohl bei meiner Frau der Fall – ein menschlicher Fehler bei der manuellen Dateneingabe.
Die Versicherungswirtschaft in Deutschland verwaltet über 450 Millionen Verträge. Das sind mehr Policen als es Menschen in der EU gibt. Bei dieser schieren Masse sind Fehler statistisch unvermeidbar. Selbst bei einer Fehlerquote von 0,001% wären das noch 4.500 fehlerhafte Verträge. Die meisten Fehler fallen nie auf, weil die betroffenen Kunden sich nie ins Online-Portal einloggen oder keine Leistungen beantragen.
Bei meiner Frau wurde es kompliziert, weil beide Verträge – ihrer und der von Klaus Müller – aktiv waren. Beide zahlten Beiträge, beide hatten theoretisch Anspruch auf Leistungen. Das System konnte nicht unterscheiden, wer wer ist. Die Versicherung musste erstmal klären, wie das passieren konnte.
Nach drei Tagen kam ein Anruf vom „Qualitätsmanagement" der Versicherung. Ein sehr förmlicher Herr erklärte, was passiert war: Bei einer Systemumstellung vor zwei Jahren wurden manche Datensätze fehlerhaft übertragen. Meine Frau und Herr Müller hatten zufällig am selben Tag ihre Verträge abgeschlossen, nur in verschiedenen Jahren. Durch einen Programmierfehler wurde das Jahr ignoriert, und beide bekamen dieselbe fortlaufende Nummer.
„Das ist uns sehr unangenehm", sagte der Mann. Klar, das glaube ich gerne. Datenschutztechnisch ist so was ein Super-GAU. Theoretisch hätte meine Frau auf alle Daten von Herrn Müller zugreifen können – seine Adresse, seine Bankverbindung, seine Gesundheitsdaten, falls es eine Krankenversicherung gewesen wäre. Und umgekehrt natürlich auch.
Die rechtliche Situation bei sowas ist übrigens interessant. Nach der DSGVO, der Datenschutz-Grundverordnung, müssen Unternehmen bei Datenpannen innerhalb von 72 Stunden die Aufsichtsbehörde informieren. Bei hohem Risiko für die Betroffenen müssen auch diese informiert werden. Eine doppelte Versicherungsnummer mit Zugriff auf fremde Daten? Definitiv meldepflichtig.
Die Versicherung hat das auch gemacht – zwei Wochen später kam ein offizieller Brief, in dem sie den Vorfall bestätigten und sich entschuldigten. Sie versicherten, dass keine unbefugten Zugriffe stattgefunden hätten und dass sie Maßnahmen ergriffen hätten. Welche Maßnahmen das waren? Eine neue Versicherungsnummer für meine Frau.
Das klingt erstmal einfach, war es aber nicht. Die alte Nummer hing an allem – Lastschriftmandat, Steuerbescheinigungen, Korrespondenz der letzten Jahre. Alles musste umgestellt werden. Und dann das beste: Die neue Nummer funktionierte erstmal nicht im Online-Portal. „Das System braucht 48 Stunden, um sich zu aktualisieren", hieß es. Am Ende waren es fünf Tage.
Währenddessen hab ich mich mal schlau gemacht, wie häufig sowas vorkommt. Es gibt keine offiziellen Statistiken, aber in Versicherungsforen findet man immer wieder solche Geschichten. Besonders häufig passiert es offenbar bei Krankenkassen, wenn Familienversicherte eigene Nummern bekommen, oder bei Rentenversicherungen nach Namensänderungen.
Ein IT-Experte, mit dem ich mal beruflich zu tun hatte, erklärte mir das Problem: Viele Versicherungen arbeiten noch mit Legacy-Systemen aus den 80er und 90er Jahren. Cobol-Programme auf Großrechnern, die niemand mehr richtig versteht. Die ursprünglichen Programmierer sind längst in Rente. Neue Features werden einfach draufgesetzt, wie Schichten auf einer archäologischen Ausgrabung. Irgendwann weiß niemand mehr, was in der untersten Schicht eigentlich passiert.
Das erklärt auch, warum die Fehlersuche so lange dauert. Man kann nicht einfach in einer Datenbank nachschauen. Man muss durch verschiedene Systeme, verschiedene Programmiersprachen, verschiedene Logiken. Wie bei einem Haus, das über Jahrhunderte immer wieder umgebaut wurde – keiner hat mehr einen kompletten Bauplan.
Bei meiner Frau kam noch dazu, dass die Versicherung vor drei Jahren von einem größeren Konzern übernommen wurde. Solche Übernahmen sind der Horror für die IT. Zwei verschiedene Systeme müssen zusammengeführt werden, verschiedene Nummernsysteme, verschiedene Datenstrukturen. Dass da was schiefgeht, ist fast vorprogrammiert.
Interessant war auch die Reaktion von Klaus Müller, dem anderen Betroffenen. Die Versicherung hatte ihm natürlich auch Bescheid gegeben. Er rief tatsächlich bei uns an – die Versicherung hatte gefragt, ob sie unsere Nummer weitergeben dürfen, für den Fall, dass er Fragen hat. Netter Mann, Ende 50, aus Hamburg. Er war total entspannt. „Hauptsache, meine Versicherung läuft weiter", meinte er. Er hatte von dem ganzen Problem nichts gemerkt, weil er noch nie das Online-Portal genutzt hatte. Old School, alles per Brief.
Wir unterhielten uns eine Weile, und er erzählte, dass er in der Logistikbranche arbeitet. „Bei uns passieren auch ständig solche Fehler", sagte er. „Letzte Woche hatten wir zwei Container mit derselben Nummer. Einer sollte nach China, der andere nach Brasilien. Rate mal, wo sie gelandet sind." Wir mussten beide lachen. Fehler passieren überall, wo Menschen und Systeme zusammenarbeiten.
Die Versicherungsbranche hat übrigens ein grundsätzliches Problem mit der Digitalisierung. Einerseits wollen alle modern sein, Apps anbieten, KI einsetzen. Andererseits schleppen sie diese uralten Systeme mit sich rum. Das ist wie wenn man versucht, ein Smartphone an eine Schreibmaschine anzuschließen. Theoretisch geht's vielleicht irgendwie, praktisch ist es ein Albtraum.
Dazu kommt die Regulierung. Versicherungen können nicht einfach ihre Systeme austauschen wie ein Start-up. Jede Änderung muss dokumentiert, geprüft, genehmigt werden. Die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, hat da strenge Vorgaben. Das ist einerseits gut – niemand will, dass seine Lebensversicherung plötzlich weg ist, weil jemand beim Software-Update was verbockt hat. Andererseits macht es Innovationen wahnsinnig träge.
Ein Bekannter, der bei einer Versicherung in der IT arbeitet, hat mir mal erzählt, dass sie für ein simples Update der Kundenmaske sechs Monate gebraucht haben. Nicht weil das Programmieren so lange dauert, sondern weil es durchzig Gremien und Prüfungen musste. Compliance, Datenschutz, Revision, Risikomanagement – alle wollen mitreden.
Nach zwei Wochen war bei meiner Frau dann alles geklärt. Neue Nummer, funktionierendes Portal, alle Unterlagen angepasst. Als kleine Entschädigung gab's einen Blumenstrauß und einen Gutschein für einen Online-Shop. Nette Geste, auch wenn ein Blumenstrauß jetzt keine Datenpanne ungeschehen macht.
Was haben wir daraus gelernt? Erstmal: Kontrolliert regelmäßig eure Online-Zugänge. Nicht nur bei Versicherungen, überall. Wenn irgendwas komisch aussieht, sofort melden. Je früher ein Fehler auffällt, desto einfacher ist er zu beheben.
Zweites Learning: Dokumentiert alles. Meine Frau hat von Anfang an alle Telefonate notiert, alle E-Mails gespeichert, Screenshots gemacht. Das war gold wert. Als die Versicherung erstmal behauptete, sie hätte sich das Problem eingebildet, konnten wir alles belegen.
Drittes Learning: Bleibt hartnäckig, aber freundlich. Die Person am Telefon kann meist nichts für das Problem. Die sitzt in einem Call-Center und arbeitet ein Skript ab. Freundlichkeit öffnet Türen. Der Typ vom Qualitätsmanagement hat uns am Ende seine Direktdurchwahl gegeben – „Falls nochmal was ist."
Was mich bei der ganzen Sache am meisten überrascht hat: Wie viele Leute ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Nachdem ich die Geschichte im Freundeskreis erzählt hatte, kamen plötzlich alle mit ihren eigenen Versicherungs-Horror-Stories. Doppelte Nummern, verlorene Verträge, falsche Abrechnungen.
Eine Kollegin hatte mal zwei Haftpflichtversicherungen bei derselben Gesellschaft – ohne es zu wissen. Jahre lang doppelt gezahlt. Ist erst aufgefallen, als sie umgezogen ist und ihre Post nachgesendet wurde. Plötzlich kamen zwei identische Briefe. Die Versicherung hatte beim Umzug aus ihrer einen Police zwei gemacht. Verschiedene Nummern, gleiche Person, gleiche Leistung.
Ein anderer Freund hatte das gegenteilige Problem: Seine Versicherungsnummer existierte plötzlich nicht mehr. Er wollte einen Schaden melden, und die Versicherung meinte, sie hätten keinen Vertrag von ihm. Dabei zahlte er seit zehn Jahren Beiträge. Am Ende stellte sich raus: Bei einer Systemumstellung war sein Vertrag einfach „verloren gegangen". Die Zahlungen liefen weiter, aber der Vertrag war weg. Kafka lässt grüßen.
Die Digitalisierung sollte solche Probleme eigentlich lösen. Eindeutige IDs, automatische Prüfungen, lückenlose Dokumentation. In der Theorie perfekt. In der Praxis... naja. Menschen machen Fehler, Programme haben Bugs, Systeme stürzen ab. Die Technik macht vieles einfacher, aber wenn sie versagt, wird's oft komplizierter als früher.
Früher, mit Papierakten und Karteikarten, wäre eine doppelte Nummer wahrscheinlich schneller aufgefallen. Da hätte jemand zwei Karten mit derselben Nummer in der Hand gehabt und sich gewundert. Heute läuft alles automatisch, bis es kracht.
Die Versicherungsbranche investiert Milliarden in die Digitalisierung. InsurTech-Start-ups schießen wie Pilze aus dem Boden. Alle versprechen, alles besser zu machen. Einfacher, schneller, transparenter. Und manches wird tatsächlich besser. Online-Abschlüsse, digitale Schadensmeldungen, automatische Bewertungen – das funktioniert oft richtig gut.
Aber die Grundprobleme bleiben. Versicherungen sind komplex. Es geht um Risikobewertung, um Wahrscheinlichkeiten, um sehr viel Geld. Das lässt sich nicht alles in eine App packen. Und je mehr Technik, desto mehr kann schiefgehen. Das ist wie mit Autos: Ein alter VW Käfer konnte man noch selbst reparieren. Bei einem modernen Auto mit hundert Steuergeräten braucht man eine Fachwerkstatt und einen Computer.
Was mir bei der ganzen Geschichte auch klar wurde: Wir verlassen uns sehr auf Systeme, die wir nicht verstehen. Wir geben unsere Daten ein, klicken auf „Weiter", und hoffen, dass alles funktioniert. Meistens tut es das ja auch. Aber wenn nicht, stehen wir da wie der Ochs vorm Berg.
Meine Frau hat nach der ganzen Aktion übrigens alle unsere Versicherungen überprüft. Nicht nur die Nummern – auch die Inhalte, die Bedingungen, die Beiträge. „Wenn die schon bei der Nummer Fehler machen", meinte sie, „was ist dann noch alles falsch?"
Und tatsächlich: Bei meiner Berufsunfähigkeitsversicherung war mein Beruf falsch eingetragen. Statt „Projektmanager" stand da „Produktmanager". Klingt ähnlich, ist aber versicherungstechnisch was anderes. Andere Risikoklasse, andere Prämie. Ich hab das jahrelang nicht gemerkt.
Bei der Hausratversicherung war unsere Adresse falsch – richtige Straße, falsche Hausnummer. Nicht dramatisch, aber wenn's mal zum Schadensfall kommt, könnte das Probleme geben. „Tut uns leid, aber Sie sind gar nicht versichert, Sie wohnen ja woanders."
Diese ganzen kleinen Fehler summieren sich. Und sie zeigen: Man muss seine Unterlagen im Blick behalten. Nicht paranoid werden, aber aufmerksam bleiben. Einmal im Jahr alles durchgehen, prüfen, ob noch alles stimmt.
Die Geschichte mit Klaus Müller und der doppelten Versicherungsnummer ist glimpflich ausgegangen. Keine Schäden, keine gestohlenen Daten, nur etwas Aufregung und Papierkram. Aber sie war ein Weckruf. In unserer digitalen Welt kann ein kleiner Fehler große Folgen haben. Ein falsches Bit, und plötzlich ist man jemand anderes. Oder niemand.
Neulich hab ich übrigens Klaus Müller eine E-Mail geschrieben, einfach um zu fragen, ob bei ihm jetzt alles funktioniert. Er hat geantwortet, alles gut, neue Nummer läuft. Und dann schrieb er noch: „Wissen Sie was? Ich hab jetzt auch endlich das Online-Portal ausprobiert. Ist ja wirklich praktisch. Manchmal braucht's einen kleinen Schubs, um was Neues anzufangen."
Da musste ich schmunzeln. Aus einem nervigen Fehler wurde für ihn der Anstoß zur Digitalisierung. Und für uns? Wir sind vorsichtiger geworden, schauen genauer hin. Und wir haben eine gute Geschichte für den Küchentisch. „Wisst ihr noch, als wir plötzlich Klaus Müller waren?" Das wird uns noch Jahre begleiten.
Manchmal denke ich, diese kleinen Pannen gehören zum modernen Leben dazu. Wie früher, als mal die Post verloren ging oder eine Telefonnummer falsch verbunden wurde. Nur dass heute alles digitaler, vernetzter, komplizierter ist. Die Fehler sind die gleichen, nur die Auswirkungen sind größer.
Aber am Ende sind wir alle nur Menschen, die versuchen, in einer komplizierten Welt zurechtzukommen. Die Dame in der Hotline, der Programmierer, der den Fehler gemacht hat, Klaus Müller, wir – alle wursteln wir uns irgendwie durch. Mal klappt's, mal nicht. Hauptsache, man kann am Ende drüber lachen.
Und die Versicherung? Die hat bestimmt ihre Prozesse überarbeitet, neue Prüfungen eingebaut, Mitarbeiter geschult. Bis zum nächsten Fehler, der dann ganz woanders auftaucht, wo niemand damit rechnet. So ist das eben. Murphy's Law gilt auch in der Versicherungsbranche: Was schiefgehen kann, wird schiefgehen. Man muss nur darauf vorbereitet sein.