
Die Sache mit den bunten Flaschen – oder: Wie wir den Putzmittel-Dschungel gezähmt haben
Weißt du, manchmal frage ich mich, wie wir eigentlich jahrelang ohne Plan durchs Leben gekommen sind. Neulich – es war so ein typischer Samstagmorgen, die Sonne schien durchs Küchenfenster, der Kaffee war noch warm – standen wir beide im Bad und starrten auf die Ansammlung von Plastikflaschen unter dem Waschbecken. Es war nicht das erste Mal, dass wir diesen Anblick hatten, aber irgendwie war es diesmal anders. Vielleicht lag's am Licht. Oder daran, dass Markus gerade mit dem Geschirrspülmittel in der Hand vor der Toilette stand und sich fragte, wie das da hingekommen war.
„Wir haben ein Problem", sagte er und drehte die Flasche in der Hand. Ich musste lachen, weil es so absurd war. Da stehen zwei erwachsene Menschen, beide mit abgeschlossenem Studium, beide in der Lage, komplexe Excel-Tabellen zu erstellen – und scheitern an der Grundordnung ihrer Putzmittel.
Eigentlich wollten wir „nur schnell" putzen. Das ist ja immer der Plan am Samstag, oder? Nur schnell durchsaugen, nur schnell wischen, nur schnell die Küche aufräumen. Aber dann steht man plötzlich da, mit drei verschiedenen Sprühflaschen in der Hand, und kann sich beim besten Willen nicht erinnern, welche jetzt für was war. Die durchsichtige? Oder war das die mit dem bläulichen Schimmer? Und warum zur Hölle haben wir fünf Flaschen, die alle gleich aussehen?
Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als mir klar wurde, dass wir nicht die Einzigen sein konnten. Ich meine, es gibt doch diese Studien – ich hatte mal einen Artikel gelesen, wo Forscher herausgefunden haben, dass Menschen im Durchschnitt etwa 35.000 Entscheidungen pro Tag treffen. Fünfunddreißigtausend! Kein Wunder, dass das Gehirn irgendwann streikt und bei der x-ten Sprühflasche einfach sagt: „Weißt du was? Ist mir egal."
Markus stellte das Geschirrspülmittel zurück unter die Spüle – wo es auch hingehörte – und seufzte. „Wir brauchen ein System", meinte er. „Bevor ich hier aus Versehen den Boden mit Entkalker wische." Ich nickte. Das war tatsächlich schon fast passiert, vor zwei Wochen. Der Boden hatte danach so komisch geklebt, und wir hatten uns den Kopf zerbrochen, bis uns dämmerte, dass ich wohl die falsche Flasche erwischt hatte.
Also setzten wir uns an den Küchentisch – unseren Lieblingsort für solche Diskussionen – und überlegten. Der Tisch war übrigens noch vom Frühstück übersät: Krümel, eine offene Marmelade, zwei halb volle Kaffeetassen. Aber das kennt ihr sicher auch, oder? Diese Momente, wo man mitten im Chaos innehält und erst mal das nächste Chaos plant.
„Farben", sagte ich plötzlich. Markus schaute mich fragend an. „Wir könnten Farben nehmen. Für jeden Bereich eine andere Farbe." Es war so eine spontane Idee, aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab sie. Ich hatte irgendwo gelesen – war das in einem Buch über Arbeitsorganisation? Oder doch dieser Podcast über Hirnforschung? – dass unser Gehirn visuelle Reize viel schneller verarbeitet als Text. Deshalb funktionieren Ampeln ja auch weltweit ohne großartige Erklärung. Rot heißt stopp, grün heißt los. Simpel, aber genial.
Wir holten uns frischen Kaffee – der alte war inzwischen kalt geworden – und fingen an zu planen. Blau fürs Bad, das war klar. Wasser, Sauberkeit, irgendwie passte das. Grün für die Küche, weil... na ja, Küche, frisch, gesund. Klingt vielleicht ein bisschen esoterisch, aber es fühlte sich richtig an. Und Gelb für Staub und Fenster, weil Sonnenschein eben durch saubere Fenster kommt. Okay, das war jetzt wirklich ein bisschen kitschig, aber hey, es ist unser System.
Das Interessante ist ja – und das habe ich erst später richtig verstanden –, dass solche kleinen Ordnungssysteme nicht nur praktisch sind. Sie geben einem auch ein Gefühl von Kontrolle. Gerade in Zeiten, wo so vieles chaotisch erscheint, wo man das Gefühl hat, dass einem alles über den Kopf wächst, können solche Mini-Strukturen erstaunlich beruhigend wirken. Psychologen sprechen da von „Selbstwirksamkeit" – also dem Gefühl, dass man sein Leben im Griff hat, dass die eigenen Handlungen Wirkung zeigen. Klingt hochtrabend, aber im Grunde geht's nur darum: Ich packe etwas an, es funktioniert, ich fühle mich gut.
Am nächsten Tag sind wir in den Baumarkt gefahren. Nicht in den großen, sondern in diesen kleinen, familiären, wo der Besitzer einen noch persönlich berät und wo es nach Holz und Farbe riecht. Wir brauchten Aufkleber – runde, farbige Aufkleber, wie man sie von Ordnern kennt. Die Auswahl war größer als gedacht. Es gab welche in Neonfarben, welche in Pastelltönen, welche mit Glitzer. Markus wollte die mit Glitzer nehmen. „Dann macht Putzen wenigstens glamourös", meinte er grinsend. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob er das ernst meinte.
Wir haben uns dann doch für die klassischen entschieden: kräftige, klare Farben, die auch aus der Entfernung gut zu erkennen sind. Zuhause haben wir dann alle Putzmittel auf den Küchentisch gestellt – und waren ehrlich gesagt ein bisschen schockiert, wie viele das waren. Zwölf Flaschen. Zwölf! Für einen Zwei-Personen-Haushalt mit zwei Kindern. Manche halb leer, manche noch original verschlossen.
„Wann haben wir die gekauft?", fragte Markus und hielt eine verstaubte Flasche hoch. Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wahrscheinlich in einem Anfall von Putzeifer." Wir kennen das doch alle: Man steht im Supermarkt, sieht ein Angebot, denkt sich „kann man ja immer brauchen" – und dann steht das Zeug zwei Jahre im Schrank.
Also haben wir aussortiert. Was wirklich doppelt war, kam weg. Was wir nie benutzen – dieser spezielle Edelstahlreiniger zum Beispiel, den wir für die neue Spüle gekauft hatten und der mehr Schlieren hinterließ als alles andere – auch weg. Am Ende blieben sechs Flaschen übrig. Eine überschaubare Menge.
Dann ging's ans Etikettieren. Blaue Punkte aufs Bad-Zeug, grüne auf die Küchensachen, gelbe auf Glasreiniger und Staubwedel-Spray. Es war fast meditativ, diese kleinen runden Aufkleber vorsichtig abzuziehen und auf die Flaschen zu kleben. Markus achtete peinlich genau darauf, dass sie gerade saßen. „Wenn wir schon ein System machen, dann richtig", sagte er. Typisch.
Was ich nicht erwartet hatte: wie schnell die Kinder das System übernommen haben. Unsere Tochter Mia, gerade sieben geworden, kam am nächsten Tag in die Küche und fragte: „Mama, warum haben die Flaschen jetzt Punkte?" Ich erklärte es ihr – die Farben, die Bereiche, dass man so schneller weiß, was wohin gehört. Sie nickte ernst, als wäre das die wichtigste Information des Tages.
Eine Woche später – wir hatten gerade zu Abend gegessen, draußen wurde es langsam dunkel – kam sie angerannt und fragte nach der „grünen Flasche". Sie hatte Apfelsaft verschüttet und wollte die Küche wischen. Ich war ehrlich gerührt. Nicht, weil sie putzen wollte – obwohl das natürlich auch schön war –, sondern weil sie das System verstanden und verinnerlicht hatte. Ohne lange Erklärungen, ohne Diskussionen.
Kinder lernen übrigens genau so. Ich hatte mal ein Gespräch mit einer Erzieherin im Kindergarten, die mir erzählte, dass sie dort auch viel mit Farbcodes arbeiten. Jedes Kind hat seinen Farbkreis an der Garderobe, die Zahnputzbecher sind farblich gekennzeichnet, selbst die Handtücher. „Kinder können so früher Verantwortung übernehmen", hatte sie gesagt. „Sie müssen nicht lesen können, um zu wissen, was ihnen gehört oder wo etwas hinkommt." Das macht Sinn, wenn man drüber nachdenkt. Unser Gehirn verarbeitet Farben intuitiver als Worte, das beginnt schon in frühester Kindheit.
Unser Sohn Jonas, mit vier Jahren der Jüngere, fand das System auch toll – allerdings aus anderen Gründen. Für ihn wurden die bunten Punkte zu einer Art Spiel. „Ich hole die blaue Flasche!", rief er, wenn wir das Bad putzten. Als wäre es eine Mission. Kinder schaffen es einfach, aus allem ein Abenteuer zu machen. Für uns Erwachsene ist es manchmal schwer, diese Leichtigkeit zurückzugewinnen, aber in solchen Momenten hatte ich das Gefühl, ein Stück davon zurückzubekommen.
Was ich auch interessant finde: Wie so ein kleines System plötzlich Gespräche auslöst. Unsere Nachbarin Sandra kam mal vorbei – sie wollte sich Eier ausleihen, klassische Nachbarschaftshilfe – und sah die bunten Aufkleber in unserem Putzschrank. „Was ist das denn?", fragte sie neugierig. Ich erzählte es ihr, und sie fing an zu lachen. „Genial! Ich verwechsle dauernd den Badreiniger mit dem Küchenspray." Zwei Tage später schickte sie mir ein Foto: Ihre Putzmittel, alle ordentlich farbcodiert. „Hat mein Leben verändert", schrieb sie dazu. Ein bisschen übertrieben vielleicht, aber ich verstand, was sie meinte.
Es gibt da diese Theorie aus der Verhaltenspsychologie – ich glaube, sie geht auf B.F. Skinner zurück, aber zitiert mich nicht –, die besagt, dass kleine positive Verstärkungen große Auswirkungen haben können. Wenn eine Handlung einfacher wird, wenn sie weniger mentale Energie kostet, dann machen wir sie lieber und häufiger. Das funktioniert bei Kindern genauso wie bei Erwachsenen. Seit wir unser Farbsystem haben, putzen wir tatsächlich öfter. Nicht, weil wir plötzlich Putzen lieben – das wäre gelogen –, sondern weil die Hürde kleiner geworden ist. Man greift schneller zur richtigen Flasche, es gibt keine Frustration mehr, man fängt einfach an.
Markus meinte neulich, dass ihm das System auch beim Einkaufen hilft. „Wenn ich sehe, dass die blauen Sachen weniger werden, weiß ich, dass wir Badreiniger brauchen", erklärte er. Früher stand er oft ratlos im Putzgang und versuchte sich zu erinnern, was wir noch hatten. Jetzt ist es visuell klar. Wieder so ein Punkt, wo ein simples System den Alltag erleichtert.
Ich habe angefangen, über andere Bereiche nachzudenken, wo so etwas funktionieren könnte. Unsere Küche zum Beispiel – wir haben drei verschiedene Schneidebretter, aber eigentlich sollte man ja für Fleisch, Gemüse und Brot unterschiedliche nehmen, wegen der Hygiene und so. Vielleicht könnten wir da auch mit Farben arbeiten? Oder die Wäsche: Mia und Jonas könnten ihre Kleidung vielleicht besser sortieren, wenn jeder eine eigene Farbe hätte. Mal sehen. Manchmal muss man aufpassen, dass man nicht über-systematisiert. Das Leben darf auch ein bisschen chaotisch sein.
Was mir aufgefallen ist: Seitdem wir das Putzmittel-System haben, streiten wir weniger. Das klingt vielleicht banal, aber es stimmt. Früher gab es regelmäßig diese kleinen Diskussionen. „Hast du den Badreiniger gesehen?" – „Nein, ich dachte, du hast ihn." – „War der nicht letzte Woche noch hier?" Solche Mikro-Ärgernisse, die sich summieren. Die sind jetzt weg. Jeder weiß, wo was ist, jeder kann selbstständig nachschauen. Das schafft eine gewisse Ruhe.
Ein Psychotherapeut – ich hatte mal ein Interview mit ihm gelesen, glaube ich – beschrieb solche alltäglichen Konflikte als „emotionale Transaktionskosten". Jede kleine Unstimmigkeit, jede Suche nach einem Gegenstand, jede Diskussion über Banalitäten kostet emotionale Energie. Und wenn man viele solcher kleinen Kosten hat, summiert sich das zu einem Gefühl von Erschöpfung und Frustration. Indem man diese Kosten reduziert – durch Systeme, Strukturen, klare Abläufe – schafft man Raum für die Dinge, die wirklich wichtig sind. Für Gespräche, für Zeit miteinander, für Entspannung.
Natürlich ist unser Farbsystem nicht perfekt. Manchmal klebt ein Aufkleber nicht richtig, manchmal kaufen wir aus Versehen ein neues Produkt und vergessen, es zu etikettieren. Neulich hat Markus eine Flasche mit einem roten Aufkleber versehen – „für die Terrasse", meinte er. Ich war erst skeptisch, ob wir jetzt alle Farben des Regenbogens durchgehen würden, aber eigentlich macht es Sinn. Die Terrasse ist ja wieder ein anderer Bereich. Und so wächst unser System organisch mit uns mit.
Ich glaube, das ist das Schöne daran: Es ist nicht starr. Es ist nicht so, als hätten wir uns hingesetzt und ein perfektes, unveränderliches System ausgedacht. Es entwickelt sich mit unserem Leben, passt sich an, verändert sich. Genau so sollte es sein. Das Leben ist ja auch nicht statisch. Warum sollten unsere Alltagsstrukturen es dann sein?
Manchmal, wenn ich morgens in die Küche komme und der Kaffee noch durchläuft, stehe ich kurz vor dem Putzschrank und schaue auf die bunten Flaschen. Es ist ein beruhigender Anblick. Nicht, weil ich Putzmittel besonders schön finde – das wäre wirklich seltsam –, sondern weil es ein Symbol ist. Ein Symbol dafür, dass wir Herr über unser kleines Chaos sind, dass wir gemeinsam Lösungen finden, dass wir uns um die kleinen Dinge kümmern, damit die großen nicht so überwältigend wirken.
Es gibt da dieses Konzept in der japanischen Kultur – Kaizen, glaube ich, heißt es. Es bedeutet „kontinuierliche Verbesserung". Nicht in großen, radikalen Sprüngen, sondern in kleinen, stetigen Schritten. Das Putzmittel-System ist unser kleines Kaizen-Projekt. Es ist nicht weltverändernd, es löst keine globalen Probleme. Aber es macht unseren Alltag ein Stückchen besser, ein Stückchen einfacher, ein Stückchen harmonischer.
Mia hat übrigens angefangen, ihre Buntstifte nach Farben zu sortieren. Ohne dass wir es ihr gesagt hätten. Sie hat sich von uns abgeschaut, dass Ordnung durch Farben entstehen kann. Ihr Schreibtisch sieht jetzt aus wie ein kleiner Regenbogen. Jonas will sein Spielzeug auch nach Farben sortieren, aber bei ihm ist die Aufmerksamkeitsspanne noch nicht so lang. Er schafft es bis zu den Bauklötzen, dann verliert er die Lust und baut lieber einen Turm. Was auch völlig in Ordnung ist. Man muss nicht alles durchziehen, nicht alles perfekt machen.
Ich habe neulich mit meiner Mutter telefoniert und ihr von unserem System erzählt. Sie musste lachen. „Wir hatten früher einfach nur drei Flaschen: eine für alles", sagte sie. „Hat auch funktioniert." Stimmt wahrscheinlich. Aber ich glaube, wir leben auch in einer anderen Zeit. Wir haben mehr Auswahl, mehr Möglichkeiten, mehr Produkte. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. Die schiere Menge an Optionen kann überfordern. Deshalb brauchen wir Strategien, um damit umzugehen. Psychologen nennen das „Entscheidungsmüdigkeit" – wenn man zu viele Entscheidungen treffen muss, wird jede einzelne schwerer und anstrengender. Unser Farbsystem ist eine Möglichkeit, diese Müdigkeit zu reduzieren.
Markus hat übrigens inzwischen angefangen, auch seine Werkzeuge im Keller zu etikettieren. Rote Punkte für Elektrowerkzeug, orange für Handwerkzeug, schwarze für Schrauben und Kleinteile. Ich war erst skeptisch, ob er das durchzieht – er ist eher der Typ, der enthusiastisch anfängt und dann mittendrin aufhört –, aber er bleibt dran. Vielleicht liegt es daran, dass er die positiven Effekte im Haushalt gesehen hat. Wenn etwas funktioniert, will man es wiederholen.
Was ich auch spannend finde: Wie unterschiedlich Menschen auf Ordnungssysteme reagieren. Manche unserer Freunde finden unser Farbsystem „zu durchorganisiert". „Könnt ihr nicht einfach merken, welche Flasche wohin gehört?", fragte mich eine Freundin mal. Klar könnten wir. Theoretisch. Aber warum sollten wir uns das merken, wenn es auch einfacher geht? Es ist wie mit einem Terminkalender. Man könnte auch alle Termine im Kopf behalten – aber warum sollte man, wenn man es aufschreiben kann?
Andere wiederum sind begeistert und fragen nach Details. Welche Aufkleber wir genau genommen haben, ob wir auch andere Bereiche codiert haben, wie lange es gedauert hat, bis alle Familienmitglieder das System verinnerlicht hatten. Es ist interessant zu sehen, wer sich angesprochen fühlt von solchen Themen und wer nicht. Ich glaube, es hängt damit zusammen, wie viel mentale Belastung man im Alltag spürt. Wer eh schon gut zurechtkommt, braucht keine zusätzlichen Systeme. Aber wer das Gefühl hat, dass einem alles ein bisschen zu viel wird, der sucht nach Lösungen.
Wir gehören definitiv zur zweiten Kategorie. Nicht, weil unser Leben besonders chaotisch wäre – im Vergleich zu vielen anderen Familien sind wir ziemlich durchschnittlich, würde ich sagen. Zwei Kinder, zwei Jobs, ein Haushalt, die üblichen Verpflichtungen. Aber genau das ist ja das Ding: Das „normale" Leben ist schon anstrengend genug. Jede kleine Erleichterung zählt.
Ich erinnere mich an einen Artikel, den ich vor Jahren gelesen habe. Es ging um erfolgreiche Menschen und ihre Alltagsgewohnheiten. Viele von ihnen – Unternehmer, Künstler, Wissenschaftler – hatten extrem reduzierte Kleiderschränke. Immer die gleichen Outfits, immer die gleichen Farben. Steve Jobs mit seinem schwarzen Rollkragenpullover, Mark Zuckerberg mit seinen grauen T-Shirts. Der Grund: Sie wollten keine Energie für belanglose Entscheidungen verschwenden. Morgens vor dem Kleiderschrank zu stehen und zu überlegen, was man anzieht, kostet Energie. Energie, die sie lieber für wichtigere Dinge nutzen wollten.
Unser Farbsystem funktioniert nach dem gleichen Prinzip. Es geht nicht darum, dass wir besonders ordnungsliebend wären. Es geht darum, dass wir unsere Energie für Dinge aufsparen wollen, die uns wirklich wichtig sind. Zeit mit den Kindern, Zeit füreinander, Zeit für Hobbys. Nicht Zeit für die Suche nach dem richtigen Putzmittel.
An manchen Abenden, wenn die Kinder im Bett sind und wir noch ein Glas Wein am Küchentisch trinken – unser Ritual –, sprechen wir über solche Sachen. Über die kleinen Systeme, die das Leben leichter machen. Über die Frage, wo es sich lohnt, Energie zu investieren, und wo es besser ist, Abkürzungen zu nehmen. Es sind keine großen philosophischen Gespräche, eher so ein gemütliches Plaudern. Aber ich mag diese Momente. Sie geben mir das Gefühl, dass wir ein Team sind, dass wir gemeinsam versuchen, unser Leben zu gestalten.
Markus meinte neulich, dass er als Kind nie verstanden hat, warum seine Mutter so penibel mit der Haushaltsführung war. Alles hatte seinen Platz, alles seine Ordnung. „Ich dachte immer, sie wäre einfach nur pingelig", sagte er. „Aber jetzt verstehe ich es. Sie wollte einfach nicht ständig nach Dingen suchen." Ich nickte. Meine Mutter war das genaue Gegenteil – ein kreativer Chaot, bei dem nichts einen festen Platz hatte. Als Kind fand ich das toll, alles war ein Abenteuer. Aber als ich ausgezogen bin und meinen eigenen Haushalt führen musste, merkte ich, wie anstrengend Chaos sein kann.
Vielleicht ist das auch eine Frage des Alters. Als ich zwanzig war, hatte ich keine Probleme damit, meine Wohnung in einem kreativen Durcheinander zu belassen. Heute brauche ich eine gewisse Ordnung, um mich wohlzufühlen. Nicht steril, nicht perfekt – aber strukturiert. So dass ich weiß, wo die Dinge sind, wenn ich sie brauche. Das gibt mir Sicherheit.
Es ist auch eine Frage der Verantwortung, glaube ich. Als Eltern sind wir plötzlich nicht nur für uns selbst verantwortlich, sondern auch für unsere Kinder. Wir wollen ihnen zeigen, wie man ein Leben führt, das funktioniert. Nicht, dass wir alles richtig machen – bei weitem nicht. Aber wir versuchen, ihnen Werkzeuge mitzugeben. Kleine Strategien, wie man mit dem Alltag umgeht. Ordnung durch Farben ist eine davon.
Manchmal stelle ich mir vor, wie Mia und Jonas später sein werden. Werden sie auch Farbsysteme für ihre Haushalte entwickeln? Oder werden sie völlig andere Wege finden? Das weiß man nie. Aber ich hoffe, dass sie sich an diese Phase erinnern, an die bunten Aufkleber, an die gemeinsamen Aufräumaktionen, an das Gefühl, dass man Probleme lösen kann, wenn man kreativ wird.
dass man nicht hilflos seinem Chaos ausgeliefert ist. Dass man Strukturen schaffen kann, die einem helfen. Dass kleine Veränderungen große Wirkungen haben können. Es muss nicht immer die komplette Lebensumstellung sein, nicht der radikale Neuanfang. Manchmal reichen ein paar bunte Aufkleber.
Ich schaue gerade aus dem Fenster. Es ist wieder Samstag, die Sonne scheint, und ich höre Markus im Bad. Wahrscheinlich greift er gerade zur blauen Flasche, ohne lange zu überlegen. Und ich? Ich werde gleich die grüne Flasche nehmen und die Küche wischen. Nicht, weil ich es besonders gern mache, sondern weil es einfach ist. Weil ich nicht lange überlegen muss, weil ich nicht suchen muss, weil es einfach funktioniert.
Und ehrlich? Das ist genug. Mehr braucht es manchmal gar nicht. Ein bisschen Farbe im Alltag, ein bisschen System im Chaos, ein bisschen Leichtigkeit im oft so ernsten Leben. Das sind die Momente, die zählen. Die kleinen Siege über das Durcheinander, die winzigen Verbesserungen, die zusammengenommen ein Leben ausmachen, in dem man sich wohlfühlt.
Also ja, wir sind das Ehepaar mit den farbcodierten Putzmitteln. Und wir sind ein bisschen stolz darauf.