
Heute Morgen, 6:47 Uhr. Ich stehe vor der Spülmaschine, das grüne Lämpchen ist aus, sie ist fertig. Voll mit sauberem Geschirr. Und ich denke nur: Schon wieder?
Thomas liegt noch im Bett. Ich höre ihn schnarchen – dieses leise Sägen, das ich nach fünfzehn Jahren Ehe eigentlich nicht mehr höre, außer morgens, wenn ich sauer bin. Wie jetzt. Die Spülmaschine wartet. Wie immer.
Es ist verrückt, wie sehr mich das beschäftigt. Diese banale Frage: Wer räumt die verdammte Spülmaschine aus? Klingt nach nichts, ich weiß. Aber bei uns ist das mittlerweile so aufgeladen wie... keine Ahnung, wie die Frage nach dem Sinn des Lebens. Nur kleiner. Und nerviger.
Letzte Woche hab ich einen Artikel gelesen – ich google sowas tatsächlich, ja – über "Mental Load" in Partnerschaften. Die unsichtbare Denkarbeit, die meistens Frauen leisten. Wer denkt dran, dass Klopapier alle ist? Wer merkt sich die Geburtstage? Wer weiß, dass die Spülmaschine fertig ist? Der Artikel meinte, dass in 65% der Haushalte diese mentale Arbeit ungleich verteilt ist. Bei uns auch, würde ich sagen. Thomas würde widersprechen.
Aber ich greife vor. Die Geschichte mit unserer Spülmaschine fing vor vier Jahren an. Davor haben wir tatsächlich noch von Hand gespült. Stell dir vor – 2020, und wir stehen da wie 1980 mit den Händen im Spülwasser. War Thomas' Idee. "Das ist Quality Time", hatte er am Anfang unserer Beziehung gesagt. "Wir reden dabei, wir sind zusammen." Romantischer Quatsch, aber ich hab's geglaubt.
Die ersten Jahre war's auch okay. Man steht da, einer wäscht, einer trocknet, das Radio dudelt, man redet über den Tag. Eigentlich schön. Sonntags nach dem Brunch war das unser Ding. Er mit aufgekrempelten Ärmeln, ich mit dem karierten Geschirrtuch, das wir aus dem Frankreichurlaub mitgebracht hatten.
Dann kamen die Kinder. Erst Paul, dann Emma. Plötzlich war da dreimal so viel Geschirr. Fläschchen, Breischalen, später dann Kinderteller mit diesen unmöglichen Resten, die festkleben wie Beton. Dinosaurier-Nudeln in Tomatensoße – wer auch immer die erfunden hat, hat nie versucht, die von einem Plastikteller zu kratzen.
Nach besonders harten Tagen – Baby zahnt, Kleinkind trotzt, beide Eltern am Limit – standen wir manchmal erst um zehn Uhr abends in der Küche. Müde, genervt, und dann noch dieser Geschirrberg. "Quality Time" wurde zu "Wer ist dran?" wurde zu stillem Groll.
Die Spülmaschine kam als Rettung. Thomas' Mutter hatte sie uns zu Weihnachten geschenkt. "Für meine überarbeiteten Kinder", hatte sie gesagt. Eine Bosch, super leise, Energieeffizienzklasse A+++. Wir waren begeistert wie Kinder unterm Weihnachtsbaum.
Die erste Woche lief perfekt. Geschirr rein, Maschine an, fertig. Keine Diskussionen mehr. Wir hatten plötzlich abends eine Stunde mehr Zeit. Eine ganze Stunde! Wir saßen auf dem Sofa und wussten gar nicht, was wir mit der gewonnenen Zeit anfangen sollten.
Dann kam die Frage: Wer räumt aus?
Psychologen sprechen von "Haushalts-Choreografie" – den eingeübten Bewegungsmustern und Zuständigkeiten in einem gemeinsamen Haushalt. Bei manchen Paaren entwickelt sich das organisch. Bei uns? Fehlanzeige. Bei uns wird verhandelt wie bei den UN-Klimakonferenzen. Lange, zähe Verhandlungen mit mäßigem Erfolg.
"Wer kocht, räumt nicht aus", war unser erster Versuch einer Regel. Klang fair. Problem: Ich koche zu 80%. Thomas kann genau drei Gerichte – Spaghetti Bolognese (aus dem Glas), Rührei und Tiefkühlpizza. Letzteres zählt er tatsächlich als Kochen, weil er "die Temperatur einstellen muss".
Eine Studie der University of Michigan hat übrigens gezeigt, dass Frauen im Durchschnitt 2,6 Stunden täglich mit Hausarbeit verbringen, Männer 1,7 Stunden. Das klingt nach nicht viel Unterschied, aber rechne das mal aufs Jahr hoch. Das sind 328 Stunden. Über zwei Wochen nonstop Hausarbeit mehr. Zwei Wochen!
Thomas sieht das anders. Er hat eine eigene Mathematik entwickelt. "Ich mähe den Rasen", sagt er. Stimmt, alle zwei Wochen im Sommer. "Ich bringe den Müll raus." Auch wahr, meistens jedenfalls. "Ich repariere alles." Ja, nach drei Monaten und vier Erinnerungen.
Die Spülmaschine wurde zum Symbol. Zum täglichen Mikro-Konflikt. Morgens um sieben, wenn sie fertig ist und piept – ignoriert Thomas das Piepen eigentlich, oder hört er es wirklich nicht? Er behauptet Letzteres. Ich glaube ihm nicht.
Es gibt diese Theorie vom "Domestic Blindness" – Haushaltsblindheit. Manche Menschen sehen Unordnung oder anfallende Aufgaben einfach nicht. Ihr Gehirn filtert das aus. Evolutionär gesehen macht das Sinn – unsere Vorfahren mussten sich auf Gefahren konzentrieren, nicht auf schmutziges Geschirr. Aber heute? Heute nervt es einfach nur.
Letzten Monat hab ich ein Experiment gemacht. Ich hab aufgehört, die Spülmaschine auszuräumen. Einfach so. Mal sehen, wie lange es dauert, dachte ich. Tag eins: Thomas nimmt sich seine Kaffeetasse raus, lässt den Rest. Tag zwei: Er holt sich einen Teller, mehr nicht. Tag drei: "Haben wir keine sauberen Gläser mehr?" Ich: "Doch, in der Spülmaschine." Er: "Ach so."
Am vierten Tag explodierte ich. Nicht wortwörtlich, aber fast. "Drei Tage! Drei Tage steht die Spülmaschine voll da, und du merkst es nicht mal!" Er guckte mich an, als hätte ich ihm gerade erklärt, dass die Erde flach ist. "Ich dachte, du machst das gerne."
Gerne. GERNE?
Es folgte eines dieser Gespräche. Ihr kennt sie. Diese Gespräche, wo man eigentlich über die Spülmaschine redet, aber irgendwie über alles. Über Wertschätzung, Arbeitsteilung, mentale Belastung. Über die Tatsache, dass ich nachts aufstehe, wenn Emma Albträume hat. Dass ich die Arzttermine koordiniere. Dass ich weiß, welche Schuhgröße Paul gerade hat.
Thomas' Verteidigung: "Ich mache andere Sachen." Welche? "Na, Sachen halt." Sehr konkret.
Dabei ist Thomas kein schlechter Partner. Wirklich nicht. Er ist liebevoll, lustig, ein toller Vater. Er liest den Kindern vor, spielt stundenlang Lego, erklärt Paul geduldig, warum der Himmel blau ist. Aber diese Alltagssachen? Die sieht er einfach nicht.
Eine Freundin meinte mal: "Männer sind wie Roomba-Staubsauger. Sie funktionieren gut, aber manchmal fahren sie einfach gegen die Wand und brauchen eine neue Richtung." Musste lachen. Passt perfekt auf Thomas.
Wir haben alles versucht. Wochenpläne (hielten zwei Tage), Apps (wurden ignoriert), sogar einen Timer (ging allen auf die Nerven). Nichts funktionierte dauerhaft.
Die Forschung sagt, dass solche Konflikte normal sind. Dr. Julie Gottman vom Gottman Institute meint, 69% aller Beziehungskonflikte sind unlösbar. Man muss lernen, damit zu leben. Aber wie? Wie lebt man mit einer Spülmaschine, die zum täglichen Politikum wird?
Vor zwei Wochen hatte ich einen Durchbruch. Oder sowas ähnliches. Emma war krank, Paul hatte einen Wutanfall im Supermarkt, die Waschmaschine war ausgelaufen. Ich kam abends völlig fertig nach Hause. Die Spülmaschine war fertig, voll, und ich hatte einfach keine Kraft mehr.
Thomas war schon da. Er sah mich, sah die Spülmaschine, und ohne ein Wort fing er an auszuräumen. Systematisch, gründlich, sogar die Besteckschublade. Ich hätte heulen können vor Rührung. Über eine ausgeräumte Spülmaschine. So weit ist es gekommen.
"Danke", sagte ich. Er zuckte mit den Schultern. "War doch klar, dass du heute fertig bist." Manchmal, in solchen Momenten, funktioniert es. Wenn einer von uns offensichtlich am Ende ist, springt der andere ein. Ohne Diskussion, ohne Punktezählen.
Das Problem sind die normalen Tage. Die Tage, wo beide müde sind, aber keiner zusammenbricht. Die Grauzone der Erschöpfung, wo jeder denkt, der andere könnte doch mal...
Studien zeigen übrigens, dass Paare, die sich die Hausarbeit gerecht teilen, mehr Sex haben. Im Durchschnitt einmal mehr pro Monat. Das hab ich Thomas erzählt. Er meinte: "Dann räum ich ab sofort jeden Tag aus!" Hat zwei Tage gehalten.
Aber im Ernst: Es geht nicht nur um die Spülmaschine. Es geht um das, was sie repräsentiert. Die tausend kleinen unsichtbaren Aufgaben, die ein Familienleben am Laufen halten. Wer denkt dran, dass Pauls Sportzeug gewaschen werden muss? Wer merkt, dass die Milch alle ist? Wer plant das Geburtstagsgeschenk für Emmas Freundin?
In Schweden gibt es dafür den Begriff "Vardagsmat" – Alltagsessen, aber es meint mehr. Es meint die ganze unsichtbare Arbeit, die nötig ist, um den Alltag zu organisieren. In Schweden wird das übrigens viel gleichberechtigter aufgeteilt als bei uns. Die haben auch mehr Elternzeit für Väter. Zufall? Wohl kaum.
Thomas versucht es wirklich. Letzte Woche hat er einen Putzplan erstellt. Mit Excel. Farbcodiert. Verschiedene Aufgaben, verschiedene Farben, sogar mit Zeitschätzung. "Spülmaschine ausräumen: 5 Minuten", stand da. Ich: "Und das Einräumen?" Er: "Das machen wir doch zusammen." Wir? Interessant.
Der Plan hängt jetzt am Kühlschrank. Zwischen Emmas Kindergarten-Kunstwerk (eine Sonne mit zu vielen Strahlen) und dem Pizzaservice-Flyer. Ob wir uns dran halten? Mal sehen.
Gestern Abend, nach dem Essen, standen wir beide in der Küche. Die Spülmaschine war voll, bereit zum Anstellen. "Ich mach sie an", sagte Thomas. "Und morgen früh räum ich aus. Versprochen."
Heute Morgen, 6:47 Uhr. Ich stehe vor der Spülmaschine. Thomas schnarcht. Aber weißt du was? Ich räume aus. Nicht weil ich muss. Nicht aus Prinzip. Sondern weil ich weiß, dass er heute einen wichtigen Termin hat. Dass er nervös ist. Dass er nachts schlecht geschlafen hat, weil er grübelt.
Manchmal geht es nicht um Gerechtigkeit. Manchmal geht es um Liebe. Um das Wissen, dass der andere es gerade braucht. Um die kleinen Gesten, die sagen: Ich sehe dich. Ich bin da.
Die Tassen klirren leise, als ich sie in den Schrank stelle. Paul wird gleich aufwachen, dann Emma. Ein neuer Tag beginnt. Mit all seinen kleinen Aufgaben, sichtbaren und unsichtbaren.
Die Forschung sagt, dass Paare im Durchschnitt 2,5 Stunden pro Woche über Hausarbeit streiten. Das sind 130 Stunden im Jahr. Über fünf Tage nonstop Streit. Über Spülmaschinen, Wäsche, Staubsaugen.
Aber die Forschung sagt auch: Paare, die es schaffen, diese Konflikte mit Humor zu nehmen, halten länger. Die, die über ihre Spülmaschinen-Dramen lachen können. Die, die verstehen, dass es nie perfekt gerecht sein wird.
Thomas kommt in die Küche geschlurft. Verschlafen, die Haare in alle Richtungen. Er sieht die leere Spülmaschine, sieht mich. "Du hast..." "Ja." "Aber ich wollte..." "Ich weiß." Er umarmt mich von hinten, noch warm vom Bett. "Morgen mach ich's. Echt."
Wir beide wissen: Vielleicht macht er's, vielleicht nicht. Vielleicht stehe ich morgen wieder hier, 6:47 Uhr, vor einer vollen Spülmaschine. Vielleicht nerve ich mich. Vielleicht nicht.
Aber heute? Heute ist es okay. Heute haben wir einen Moment der Ruhe in unserer kleinen Küche, bevor der Wahnsinn des Tages beginnt. Thomas macht Kaffee – zu stark, wie immer. Ich mache Pausenbrote – mit zu viel Butter, sagt Paul immer.
Die Spülmaschine steht leer und bereit für die nächste Runde. Für die Frühstücksteller, die Müslischalen, die Tassen. Für unseren ganz normalen, chaotischen, wunderbaren Alltag.
In Japan gibt es das Konzept von "Wabi-Sabi" – die Schönheit des Unvollkommenen. Vielleicht ist unsere Spülmaschinen-Situation genau das. Unvollkommen, manchmal nervig, aber unsere. Ein Teil unserer Geschichte.
Heute Abend werden wir wieder davorstehen. Voll. Fertig. Wartend. Und einer von uns wird ausräumen. Oder auch nicht. Und das Leben geht weiter.
Manchmal denke ich: In zwanzig Jahren, wenn die Kinder ausgezogen sind, werden wir diese Diskussionen vermissen. Diese kleinen Alltagskämpfe. Oder wir streiten dann, wer den Geschirrspüler im Wohnmobil ausräumt. Thomas träumt nämlich von einem Wohnmobil. Aber das ist eine andere Geschichte.
Für heute reicht es zu wissen: Die Spülmaschine ist ausgeräumt. Die Küche ist aufgeräumt. Gleich werden zwei kleine Menschen hier reingestürmt kommen, hungrig und laut. Und heute Abend wird die Spülmaschine wieder voll sein.
Der Kreislauf des Lebens. In Geschirr gemessen.