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Wohnen & Alltagstipps

Die erste Nacht mit offenem Fenster

by Winterberg 2025. 8. 13.

Gestern Nacht um 3:14 Uhr lag ich wach. Ich weiß das so genau, weil ich zum vierten Mal auf mein Handy geschaut hatte. Das Display war viel zu hell, selbst auf der niedrigsten Stufe. Thomas schnarchte leise neben mir – dieser Mann könnte bei einem Konzert schlafen, schwöre ich.

Dabei hatten wir uns so auf diese erste warme Nacht gefreut. Nach diesem endlosen Winter, wo die Fenster monatelang zu waren und die Heizungsluft uns die Kehle austrocknete. „Endlich!", hatte Thomas gesagt und das Schlafzimmerfenster weit aufgerissen. Nicht nur gekippt – richtig weit auf. Die Abendluft roch nach dem Flieder aus Nachbars Garten und diesem typischen Frühlingsduft, den man nicht beschreiben kann, aber sofort erkennt.

Um Mitternacht ging's los. Ein Motorrad. Aber nicht irgendein Motorrad – nein, so ein richtig lautes Teil, bei dem man denkt, der Fahrer kompensiert irgendwas. Thomas murmelte nur „Idiot" und drehte sich um. Ich lag da und dachte: Okay, einmal. Passiert.

Dann die Katzen. Mein Gott, diese Katzen. Das klang nicht nach Tieren, das klang nach... keine Ahnung, nach kleinen Dämonen, die sich streiten. Wusstet ihr, dass Katzen nachts bis zu 120 Dezibel laut werden können? Das ist lauter als eine Kettensäge. Hab ich mal gelesen, in so einem Artikel über urbane Lärmbelastung. Die Katzenrufe dienen der Reviermarkierung und Paarung, besonders im Frühjahr. Sehr interessant – wenn man nicht gerade versucht zu schlafen.

Thomas' Fähigkeit, durch alles durchzuschlafen, ist übrigens wissenschaftlich erklärbar. Es gibt verschiedene Schlaftypen – er ist eindeutig ein „tiefer Schläfer" mit hoher Weckschwelle. Ich dagegen bin ein „sensibler Schläfer". Etwa 30% der Bevölkerung gehören zu dieser Gruppe. Wir wachen bei jedem Geräusch über 40 Dezibel auf. Ein tropfender Wasserhahn hat 20 Dezibel, normales Atmen 10, aber diese verdammten Katzen...

Die Forschung zeigt übrigens, dass Frauen evolutionär bedingt einen leichteren Schlaf haben. Früher mussten sie nachts auf die Kinder achten, während die Männer nach der Jagd erschöpft durchschliefen. Toll. Danke, Evolution. Sehr hilfreich in einer Welt ohne Säbelzahntiger, aber mit Motorrädern.

Um halb zwei kam dann dieser Vogel. Mitten in der Nacht! Eine Amsel, vermute ich. Die singen tatsächlich manchmal nachts, besonders in Städten. Das Phänomen heißt „Lichtverschmutzung" – die Straßenlaternen verwirren ihre innere Uhr. Die Vögel denken, es wäre schon Morgen. In Berlin hat man gemessen, dass Amseln in beleuchteten Gebieten bis zu fünf Stunden früher mit dem Gesang beginnen als ihre Artgenossen im Wald.

Ich stupste Thomas an. Erst sanft, dann fester. „Hörst du das?" „Mhm", kam zurück. Mehr nicht. Der Mann hat eine Gabe. Oder einen Fluch, je nachdem, wie man's sieht.

Die Wissenschaft unterscheidet übrigens zwischen verschiedenen Lärmarten: Verkehrslärm, Nachbarschaftslärm, Freizeitlärm. Unser Problem war eine Mischung aus allem. Das Motorrad – Verkehrslärm. Die Katzen – Nachbarschaftslärm (oder zählen die zur Natur?). Und später, gegen drei, kam noch Freizeitlärm dazu: Jemand kam von einer Party nach Hause. Mit Musik. Laut.

Was viele nicht wissen: Lärm in der Nacht ist nicht nur nervig, er ist gesundheitsschädlich. Die WHO empfiehlt nachts maximal 40 Dezibel. Darüber steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen, sogar Diabetes. Der Körper schüttet Stresshormone aus, auch wenn man nicht aufwacht. Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt. Jede Nacht.

In skandinavischen Ländern gibt es übrigens ein „Recht auf Stille". In Finnland zum Beispiel ist nächtlicher Lärm streng reguliert. Nach 22 Uhr herrscht „Nachtruhe". Wer dagegen verstößt, zahlt saftige Strafen. Bei uns? Bei uns fährt die Müllabfuhr um 4:15 Uhr durch die Straße. Kein Witz. Ich hab auf die Uhr geschaut.

Dieses Piepen beim Rückwärtsfahren – ihr wisst schon, dieses penetrante Piep-Piep-Piep – ist übrigens seit 2018 bei Neufahrzeugen Pflicht. Sicherheit geht vor, klar. Aber warum um 4:15 Uhr? Thomas meint, die fahren so früh, um den Berufsverkehr zu vermeiden. Effizienz und so. Sehr deutsch.

Zwischen drei und vier wurde es kurz still. Diese Art von Stille, die fast unheimlich ist. Man liegt da und wartet förmlich auf das nächste Geräusch. Die Ohren suchen danach. Psychologen nennen das „Hypervigilanz" – erhöhte Wachsamkeit. Der Körper kann nicht entspannen, weil er auf die nächste „Gefahr" wartet.

In dieser Stille dachte ich an unsere erste gemeinsame Wohnung. Erdgeschoss, direkt an der Hauptstraße. Da haben wir auch immer mit offenem Fenster geschlafen. Mussten wir – die Wohnung hatte keine vernünftige Lüftung. Im Sommer war's wie in der Sauna. Komisch, damals hat mich der Lärm weniger gestört. Oder erinnere ich mich falsch?

Thomas behauptet, ich hätte mich auch damals ständig beschwert. Kann sein. Aber wir waren jung, verliebt, und irgendwie... war alles ein Abenteuer. Selbst die LKWs, die nachts vorbeidonnerten. „Hast du den gehört?" – „Welchen? Den um drei oder den um fünf?" Wir haben darüber gelacht. Heute lache ich nicht mehr.

Es gibt übrigens einen interessanten Zusammenhang zwischen Alter und Lärmempfindlichkeit. Mit zunehmendem Alter wird unser Schlaf leichter, die Tiefschlafphasen werden kürzer. Gleichzeitig steigt die Lärmempfindlichkeit. Ein 50-Jähriger wacht bei Geräuschen auf, die einen 20-Jährigen nicht mal träumen lassen. Wir sind 38 und 41. Die beste Zeit ist vorbei, könnte man sagen.

Um vier kam dann der Marder. Muss ein Marder gewesen sein. Dieses Kratzen und Poltern auf dem Dach. Marder sind übrigens hauptsächlich von März bis Juli aktiv – Paarungszeit. Sie kämpfen um Reviere, jagen sich über Dächer, machen einen Höllenlärm. Ein einziger Marder kann Geräusche bis zu 80 Dezibel verursachen. Das ist so laut wie ein Rasenmäher.

Thomas wurde davon tatsächlich wach. „Was zur Hölle war das?" Wir lauschten beide. Stille. Dann wieder: Kratz, kratz, polter. „Marder", sagte er, als wäre das eine beruhigende Erklärung. Dann drehte er sich um und schlief weiter. Ich lag da und googelte „Marder vertreiben". Um vier Uhr morgens.

Die Tipps waren übrigens alle nutzlos: Ultraschallgeräte (funktionieren nicht), Duftstoffe (halten maximal zwei Wochen), Mardergitter (zu teuer). Der einzige wirkliche Schutz: Fenster zu. Toll.

Interessant ist die Psychologie dahinter: Warum machen wir die Fenster trotzdem immer wieder auf? Es gibt da dieses Konzept der „kognitiven Dissonanz". Wir wissen, dass es laut wird. Wir wissen, dass wir nicht schlafen können. Aber wir wollen glauben, dass frische Luft wichtiger ist. Also reden wir uns ein, dass es schon nicht so schlimm wird. Jeden. Verdammten. Abend.

Die Deutschen haben übrigens eine besondere Beziehung zum Lüften. „Stoßlüften" ist ein typisch deutsches Konzept. In anderen Ländern lässt man Fenster gekippt oder hat Klimaanlagen. Wir reißen alles auf, lassen die Kälte (oder Hitze) rein und nennen es gesund. Diese Obsession mit frischer Luft kommt noch aus Zeiten der Tuberkulose-Angst. Frische Luft galt als Heilmittel gegen die „Schwindsucht". Das ist über hundert Jahre her, aber die Gewohnheit ist geblieben.

Meine Großmutter hat immer gesagt: „Nachts bei offenem Fenster schlafen härtet ab." Sie wurde 93. Vielleicht hatte sie recht. Vielleicht war sie aber auch einfach taub. Oder sie gehörte zu den glücklichen 10% der Bevölkerung, die genetisch bedingt tiefe Schläfer sind. Das gibt's tatsächlich – ein Gen namens DEC2. Menschen mit einer bestimmten Mutation dieses Gens brauchen weniger Schlaf und sind weniger lärmempfindlich. Thomas hat das bestimmt. Ich definitiv nicht.

Um fünf gab ich auf. Bin aufgestanden, hab mir einen Tee gemacht. Earl Grey, den guten. In der Küche war es still – das geschlossene Fenster macht einen enormen Unterschied. Man hört die Welt nur gedämpft. Der Schall wird um etwa 30 Dezibel reduziert. Aus 70 Dezibel Straßenlärm werden 40 – gerade noch erträglich.

Ich saß da mit meinem Tee und dachte nach. In Japan gibt es das Konzept des „Shinrin-yoku" – Waldbaden. Man geht in den Wald, um Stress abzubauen. Studien zeigen, dass Naturgeräusche tatsächlich beruhigend wirken. Vogelgezwitscher, Blätterrauschen, sogar Regen. Aber das gilt nur tagsüber. Nachts will unser Gehirn Ruhe. Absolute Ruhe.

Die Evolution hat uns nicht auf nächtliche Geräusche vorbereitet. In der Steinzeit bedeutete jedes Geräusch in der Nacht potenzielle Gefahr. Unser Gehirn ist immer noch so programmiert. Jedes Knacken, jedes Rascheln aktiviert das Alarmsystem. Adrenalin wird ausgeschüttet, der Körper macht sich bereit zur Flucht oder zum Kampf. Sehr praktisch bei Säbelzahntigern. Weniger praktisch bei Nachbars Katze.

Thomas kam um sechs in die Küche. Verschlafen, aber ausgeruht. „Morgen, Schatz. Wie war deine Nacht?" Ich musste lachen. Dieses müde, resignierte Lachen. „Lehrreich", sagte ich.

Er machte mir einen doppelten Espresso. Nach zwölf Jahren Ehe kennt er meine Überlebensstrategien. Koffein ist übrigens keine gute Lösung bei Schlafmangel. Es überdeckt nur die Müdigkeit, behebt sie aber nicht. Der Körper braucht Schlaf, um sich zu regenerieren. Besonders der REM-Schlaf ist wichtig für die Verarbeitung von Emotionen und Erinnerungen. Ohne ausreichend REM-Schlaf werden wir reizbarer, unkonzentrierter, anfälliger für Krankheiten.

„Machen wir's heute Nacht wieder auf?", fragte Thomas. Ich überlegte. Die Wetterapp sagte 22 Grad voraus. Perfekt für offene Fenster. Die Chance auf eine ruhige Nacht? Statistisch gesehen gering. Freitagnacht ist meist lauter als andere Nächte. Mehr Verkehr, mehr Partys, mehr Leben.

„Klar", sagte ich trotzdem.

Er schaute mich an. Dieser Blick, der sagt: Bist du sicher? Ich war nicht sicher. Bin es immer noch nicht. Aber es gibt da diese Hoffnung. Diese irrationale, unvernünftige Hoffnung, dass es heute Nacht besser wird.

Die Nachbarn zwei Häuser weiter haben übrigens eine andere Lösung gefunden: Spezielle Schallschutzfenster mit Lüftungsschlitzen. Kosten ein Vermögen, aber sie schwören drauf. „Wir schlafen wie Babys", sagen sie. Thomas findet das übertrieben. „Dann kann man auch gleich in einen Bunker ziehen."

Vielleicht ist es eine Generationenfrage. Unsere Eltern hatten keine Schallschutzfenster. Die hatten überhaupt weniger Komfort und haben trotzdem überlebt. Oder vielleicht war es früher wirklich leiser. Weniger Autos, weniger Flugzeuge, weniger von allem.

Studien zeigen tatsächlich, dass die Lärmbelastung in Städten in den letzten 50 Jahren um 30% zugenommen hat. Gleichzeitig ist unsere Toleranz gesunken. Wir sind empfindlicher geworden. Oder bewusster. Wir wissen um die Gesundheitsrisiken, lesen Artikel darüber, machen uns Sorgen.

Heute Abend werden wir wieder diskutieren. Fenster auf oder zu? Wir werden Argumente austauschen, die wir beide auswendig kennen. „Frische Luft ist wichtig." „Aber Schlaf auch." „Es wird schon nicht so laut." „Das sagst du jedes Mal."

Und dann machen wir es trotzdem auf. Das Fenster. Weil wir optimistisch sind. Oder stur. Oder weil wir nicht aufgeben wollen. Weil Aufgeben bedeuten würde, dass wir alt werden. Dass wir empfindlich werden. Dass die Welt uns zu viel wird.

Noch kämpfen wir. Jede Nacht aufs Neue. Gegen Marder und Motorräder, gegen Katzen und Müllabfuhren. Es ist unser kleiner Kampf gegen die moderne Welt. Ein Kampf, den wir wahrscheinlich verlieren werden. Aber noch nicht heute Nacht.

Heute Nacht versuchen wir's nochmal. Mit Ohropax in Reichweite, falls es zu schlimm wird. Thomas sagt, das ist Betrug. Aber ich nenne es Kompromiss. Die Kunst des Älterwerdens liegt vielleicht genau darin: Kompromisse zu finden, mit denen man leben kann.

Und wer weiß – vielleicht wird es heute Nacht wirklich ruhig. Vielleicht schlafen die Katzen woanders. Vielleicht hat der Marder ein neues Revier gefunden. Vielleicht, vielleicht, vielleicht.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Auch um drei Uhr morgens, wenn die ganze Welt zu laut ist und nur Thomas friedlich schnarcht.