
Letzte Woche Mittwoch, ich war gerade dabei, die Spülmaschine auszuräumen – ihr kennt das, diese meditative Routine nach dem Frühstück – da rief Robert aus dem Flur: „Schatz, hier ist ein eingeschriebener Brief. Von der Versicherung."
Mein erster Gedanke war: Die wollen uns wieder was verkaufen. Eine Zusatzversicherung für dies, eine Erweiterung für das. Aber Roberts Gesichtsausdruck, als er in die Küche kam... Der Brief war anders.
„Die kündigen uns", sagte er und ließ sich auf seinen Stammplatz am Küchentisch fallen. Den Platz, von dem aus er jeden Morgen seine Zeitung liest und abends sein Feierabendbier trinkt. „Einfach so. Nach achtzehn Jahren."
Ich nahm den Brief. Tatsächlich. Die Gothaer Hausratversicherung, bei der wir seit unserem Einzug 2006 versichert waren, kündigte uns zum Jahresende. Der Grund: drei Schadensfälle in den letzten zwei Jahren. Ich musste erstmal schlucken.
Die drei Schadensfälle... ja, die hatten wir. Aber es war ja nicht so, als hätten wir die Bude abgefackelt. Der erste war der Wasserschaden durch die defekte Spülmaschine – ausgerechnet. Der zweite: Einbruch in den Keller, haben sie unsere Fahrräder geklaut. Und der dritte, das war im letzten Sommer, als bei dem Hagelsturm das Velux-Fenster im Arbeitszimmer zu Bruch ging und der Regen reingedrückt hat.
„Ist das überhaupt legal?", fragte ich und setzte mich zu Robert. Der Kaffee von vorhin war kalt geworden, aber ich trank trotzdem einen Schluck. Manchmal hilft auch kalter Kaffee beim Denken.
Robert, der früher mal bei einer Bank gearbeitet hat – bevor er in die IT gewechselt ist – kannte sich ein bisschen aus. „Die dürfen das", sagte er. „Nach jedem Schadensfall haben beide Seiten ein Sonderkündigungsrecht. Vier Wochen ab Abschluss der Schadensregulierung."
Das wusste ich tatsächlich nicht. Man denkt ja immer, wenn man brav seine Beiträge zahlt, dann ist man safe. Aber so läuft das offenbar nicht. Die Versicherungen kalkulieren knallhart. Wer zu oft Schäden meldet, fliegt raus. Auch wenn die Schäden alle berechtigt waren und nicht mal selbst verschuldet.
Ich erinnere mich noch, wie wir damals die Versicherung abgeschlossen haben. 2006, kurz nach unserem Umzug in dieses Haus. Der Makler – wie hieß er noch? Herr Krüger? Krause? – saß hier an genau diesem Tisch und versicherte uns: „Sie sind bei uns in besten Händen. Wir sind immer für Sie da." Ja, von wegen.
„Was machen wir jetzt?", fragte ich Robert.
Er kratzte sich am Kopf, diese typische Geste, wenn er nachdenkt. „Erstmal müssen wir schnell eine neue Versicherung finden. Ohne Hausrat stehen wir blöd da, wenn was passiert."
Das Problem ist nur: Wenn man von einer Versicherung gekündigt wurde, ist das wie ein Kainsmal. Die anderen Versicherer fragen danach. „Wurden Sie in den letzten fünf Jahren von einer Versicherung gekündigt?" Wenn man da Ja ankreuzt, wird's entweder richtig teuer oder man kriegt gar keinen Vertrag.
Meine Schwester hatte mal was Ähnliches erlebt. Bei ihr war's die Autoversicherung. Zwei Unfälle in einem Jahr – einmal hat sie jemand auf dem Parkplatz angefahren, einmal ist ihr einer reingefahren. Beide Male nicht ihre Schuld. Trotzdem: Kündigung. Sie hat dann ewig gesucht, bis sie wieder was gefunden hat. Am Ende zahlte sie das Doppelte.
Robert hatte schon seinen Laptop aufgeklappt. „Lass uns mal systematisch vorgehen", sagte er. Typisch Informatiker. Für alles gibt's einen Algorithmus.
Während er tippte, holte ich unsere Versicherungsunterlagen. Der dicke grüne Ordner, zweites Fach von oben im Büroregal. Da ist alles drin – die Police, die Schadensmeldungen, die Korrespondenz. Beim Durchblättern fiel mir auf, wie viele Briefe wir über die Jahre geschrieben haben. Schadensanzeigen, Rückfragen, Ergänzungen. Ein ganzes Archiv unseres Lebens, dokumentiert in Versicherungsdeutsch.
„Schau mal", sagte Robert und drehte den Bildschirm zu mir. „Im Forum schreiben viele, dass man erstmal Widerspruch einlegen kann."
Widerspruch. Klingt kämpferisch. Aber was sollten wir auch sonst machen? Einfach hinnehmen?
Ich las die Forenbeiträge. Erstaunlich viele Menschen haben das gleiche Problem. Einer schrieb: „Nach 30 Jahren treuer Beitragszahlung gekündigt wegen zwei Wasserschäden." Eine andere: „Drei kleine Schäden, zusammen keine 2000 Euro, und raus."
Was mich besonders ärgerte: In all den Jahren haben wir bestimmt 15.000 Euro Beiträge gezahlt. Die drei Schäden zusammen? Vielleicht 4.000 Euro. Die Versicherung hat an uns verdient, definitiv. Aber das zählt offenbar nicht.
Robert fand einen interessanten Artikel von einem Versicherungsexperten. Der erklärte die Logik dahinter: Versicherungen arbeiten mit Risikomodellen. Wer einmal einen Schaden hat, okay. Zweimal – wird beobachtet. Dreimal – gilt als Hochrisiko. Die Wahrscheinlichkeit für weitere Schäden steigt statistisch. Auch wenn's Pech war.
„Das ist wie bei den Krankenkassen in Amerika", sagte ich. „Pre-existing conditions und so."
„Nur dass es hier legal ist", ergänzte Robert bitter.
Wir beschlossen, zweigleisig zu fahren. Robert würde einen Widerspruch schreiben, ich würde nach neuen Versicherungen suchen. Arbeitsteilung, wie immer bei uns.
Der Widerspruch war gar nicht so einfach. Was schreibt man da? „Bitte kündigen Sie uns nicht, wir sind doch so nett"? Robert formulierte sachlich: Hinweis auf die lange Vertragstreue, die geringe Schadenshöhe im Verhältnis zu den gezahlten Beiträgen, die Tatsache, dass keiner der Schäden grob fahrlässig verursacht wurde.
Währenddessen telefonierte ich mich durch diverse Versicherungen. Die erste Frage war immer: „Bestehen aktuell Versicherungen?" Wenn ich dann sagte, ja, aber gekündigt, wurde's kompliziert.
Ein Berater war besonders ehrlich. „Frau Zimmermann", sagte er, „ich kann Ihnen schon ein Angebot machen. Aber rechnen Sie mit 40 bis 50 Prozent Aufschlag. Und eine Selbstbeteiligung von mindestens 500 Euro."
Vierzig Prozent mehr! Statt 280 Euro im Jahr plötzlich 400. Für die gleiche Leistung.
Ich fragte ihn, ob es Alternativen gibt. „Nun ja", meinte er zögernd, „es gibt spezialisierte Versicherer für... sagen wir mal, schwierige Fälle. Die sind noch teurer, nehmen aber fast jeden."
Schwieriger Fall. So werden wir jetzt also gesehen. Dabei sind wir die normalsten Menschen der Welt. Robert arbeitet in der IT-Abteilung der Stadtwerke, ich bin Grundschullehrerin. Zwei erwachsene Kinder, ein abbezahltes Haus, noch nie Ärger mit irgendwem. Aber drei Schadensfälle, und schon sind wir Parias der Versicherungswelt.
Beim Abendessen – es gab Nudeln mit Pesto, schnell und einfach, wir hatten beide keine Lust auf großes Kochen – diskutierten wir die Optionen.
„Vielleicht sollten wir mal ganz ohne Hausratversicherung leben", schlug Robert vor. „Wir haben ja nicht so wahnsinnig viel Wertvolles."
Ich überlegte. Der Fernseher, die Computer, unsere Möbel... Wenn man alles zusammenrechnet, kommt schon was zusammen. Aber das Meiste ist ja auch nicht mehr neu. Der Zeitwert unseres Hausrats? Vielleicht 30.000 Euro?
„Wenn die Bude abbrennt, stehen wir trotzdem blöd da", gab ich zu bedenken.
„Die Wahrscheinlichkeit dafür ist minimal", argumentierte Robert. „Statistisch gesehen..."
Ich musste lachen. „Statistisch gesehen sollten wir auch nicht drei Schadensfälle in zwei Jahren haben."
Punkt für mich.
Am nächsten Tag kam überraschend schnell eine Antwort auf Roberts Widerspruch. Per E-Mail, sehr modern. Der Inhalt: weniger modern. Die Kündigung bleibe bestehen. Man bedauere, aber die Risikoeinschätzung habe sich geändert. Standardfloskeln.
Aber – und das war interessant – sie boten uns eine Vermittlung zu einem „Partnerunternehmen" an. Ein Versicherer, der sich auf solche Fälle spezialisiert hat.
Ich recherchierte diese Firma. Die Bewertungen online waren... durchwachsen. „Teuer, aber zahlen wenigstens", schrieb einer. „Nehmen jeden, kostet aber", ein anderer.
Roberts Kollegin Petra, die sich mit sowas auskennt – ihr Mann arbeitet als Versicherungsmakler – gab uns einen guten Tipp. „Geht zu einem unabhängigen Makler", sagte sie. „Die kennen den Markt und wissen, welche Versicherer auch schwierige Fälle nehmen."
Gesagt, getan. Wir machten einen Termin bei diesem Makler, Herrn Sander. Sein Büro war in der Innenstadt, dritter Stock, Altbau. An den Wänden hingen Zertifikate und Urkunden. „Makler des Jahres 2019" las ich auf einer.
Herr Sander, Mitte fünfzig, Dreitagebart, sehr sympathisch, hörte sich unsere Geschichte an. „Das ist ärgerlich, aber nicht ungewöhnlich", sagte er. „Die Versicherer sind in den letzten Jahren strenger geworden. Klimawandel, mehr Extremwetterereignisse, höhere Schadenssummen."
Er tippte in seinen Computer. „Ich hätte da drei Optionen für Sie."
Option eins: Ein großer Versicherer, aber mit hoher Selbstbeteiligung und Ausschluss von Elementarschäden. Option zwei: Ein mittelständischer Anbieter, normale Konditionen, aber 35 Prozent teurer als unser alter Vertrag. Option drei: Eine Genossenschaftsversicherung, faire Preise, aber man muss Mitglied werden.
„Die Genossenschaft klingt interessant", sagte Robert.
Herr Sander nickte. „Die arbeiten anders als normale Versicherer. Nicht gewinnorientiert, sondern für die Mitglieder. Wenn's gut läuft, gibt's am Jahresende sogar Rückzahlungen."
Das erinnerte mich an die alte Feuerversicherung meines Großvaters. Der war auch bei so einer Genossenschaft, noch aus Kaiserzeiten. „Wir versichern uns selbst", hat er immer gesagt. Das Prinzip: Alle zahlen in einen Topf, wer Schaden hat, bekommt was raus.
Wir entschieden uns für die Genossenschaft. Der Beitrag war nur minimal höher als bei unserer alten Versicherung, die Leistungen vergleichbar. Der Haken: 100 Euro Aufnahmegebühr und man verpflichtet sich für mindestens drei Jahre.
„Drei Jahre sind okay", meinte Robert. „Dann hat sich die Sache mit den Kündigungen auch beruhigt."
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Der Antrag war umfangreich. Sechs Seiten, jede Menge Fragen. Nicht nur zu den Schadensfällen, sondern auch zum Haus, zur Nachbarschaft, zu unseren Lebensumständen. „Leben Tiere im Haushalt?" – Nein, seit Kater Morris vor drei Jahren gestorben ist, nicht mehr. „Betreiben Sie gefährliche Hobbys?" – Definiere gefährlich. Ist Fahrradfahren gefährlich? Roberts Holzwerkstatt im Keller?
Bei der Frage nach vorherigen Kündigungen mussten wir natürlich Ja ankreuzen. Mit Begründung. Robert schrieb einen kleinen Roman. Jeder Schadensfall erklärt, die Umstände, dass nichts selbstverschuldet war. Ob das hilft? Wer weiß.
Eine Woche später kam die Zusage. Wir waren drin! Die Erleichterung war groß. Klar, wir zahlen jetzt etwas mehr, und die hundert Euro Aufnahmegebühr tun auch weh. Aber wir haben wieder eine Versicherung.
Was mich bei der ganzen Geschichte nachdenklich gemacht hat: Wie abhängig wir von diesen Systemen sind. Versicherungen versprechen Sicherheit, aber diese Sicherheit kann einem jederzeit entzogen werden. Legal, mit Hinweis auf irgendwelche Klauseln im Kleingedruckten.
Meine Kollegin Sabine meinte neulich: „Früher haben sich die Leute im Dorf gegenseitig geholfen. Wenn einem die Scheune abgebrannt ist, haben alle mit angepackt beim Wiederaufbau."
Stimmt schon. Aber wer hat heute noch ein Dorf? Wir kennen kaum unsere Nachbarn. Und eine Scheune aufbauen kann heute auch keiner mehr.
Die moderne Lösung heißt Versicherung. Man zahlt Geld an eine anonyme Firma und hofft, dass die im Ernstfall auch zahlt. Meistens klappt's. Aber manchmal eben nicht.
Robert hat aus der ganzen Sache seine Lehren gezogen. Er dokumentiert jetzt alles penibel. Jeden kleinen Schaden, jede Reparatur, mit Fotos und Datum. „Falls wir nochmal in so eine Situation kommen", sagt er.
Ich hoffe, wir kommen nicht nochmal in so eine Situation. Aber wenn doch, sind wir vorbereitet. Und wir wissen jetzt: Man darf sich nicht auf alte Zusagen verlassen. „Wir sind immer für Sie da" – schön wär's. In Wahrheit gilt: Solange es sich für die Versicherung rechnet.
Was ich anderen raten würde, die in die gleiche Situation kommen? Nicht verzweifeln. Es gibt immer Alternativen. Vielleicht nicht die günstigsten, aber es gibt sie. Und: Holt euch professionelle Hilfe. Ein guter Makler kostet euch nichts – die werden von den Versicherungen bezahlt – und kennt den Markt.
Ach ja, und noch was: Lest das Kleingedruckte. Wirklich. Ich weiß, es ist öde, es ist kompliziert, es ist in Juristendeutsch. Aber da stehen die wichtigen Sachen drin. Kündigungsrechte, Ausschlüsse, Obliegenheiten.
Obliegenheiten – was für ein Wort. Musste ich erstmal googeln. Sind die Pflichten, die man als Versicherungsnehmer hat. Schäden zeitnah melden, wahrheitsgemäße Angaben machen, Sicherheitsvorschriften beachten. Verletzt man die, kann die Versicherung die Leistung verweigern oder eben kündigen.
Die Genossenschaftsversicherung läuft jetzt seit drei Monaten. Noch kein Schadensfall, toi toi toi. Aber das Gefühl ist anders als früher. Wir sind vorsichtiger geworden. Checken öfter die Hausinstallationen, schauen genauer hin bei Sturm und Regen.
Ist das gut oder schlecht? Ich weiß es nicht. Einerseits ist es vernünftig, vorsichtig zu sein. Andererseits... leben wir jetzt in ständiger Angst vor dem nächsten Schaden? Das kann's ja auch nicht sein.
Robert meint, wir sollten das Ganze als Lernerfahrung sehen. „Wir wissen jetzt, wie das System funktioniert. Wir sind nicht mehr naiv."
Naiv. Waren wir das? Vielleicht. Wir haben geglaubt, wenn man ordentlich zahlt und sich nichts zu Schulden kommen lässt, dann ist man safe. Aber so einfach ist es nicht. Versicherungen sind Unternehmen. Die wollen Gewinn machen. Und Kunden, die Schäden melden, schmälern den Gewinn.
Letzte Woche hab ich unsere alte Versicherungsberaterin getroffen. Zufällig, im Supermarkt. Sie hat mich erkannt, war sichtlich verlegen. „Frau Zimmermann, es tut mir so leid mit der Kündigung. Das war eine Entscheidung von oben, ich konnte nichts machen."
Ich glaube ihr das sogar. Die kleinen Angestellten entscheiden sowas nicht. Das machen Algorithmen und Risikoanalysten in irgendeiner Zentrale.
„Haben Sie was Neues gefunden?", fragte sie.
„Ja, eine Genossenschaft."
Sie nickte. „Gute Wahl. Die sind oft kulanter."
Kulant. Noch so ein Wort aus der Versicherungswelt. Bedeutet: Die zahlen auch mal, wenn sie nicht müssten. Aus Kulanz eben. Sollte eigentlich selbstverständlich sein nach achtzehn Jahren Treue. Ist es aber nicht.
Die Geschichte hat auch unser Verhältnis zu Versicherungen generell verändert. Wir schauen jetzt genauer hin, vergleichen öfter, sind kritischer. Bei der Autoversicherung haben wir direkt mal gegenguckt – siehe da, woanders wär's 100 Euro günstiger. Gewechselt.
Man darf nicht zu loyal sein in dieser Welt. Loyalität wird nicht belohnt. Im Gegenteil. Die Treuen zahlen drauf, die Wechsler bekommen die Rabatte.
Traurig eigentlich. Aber so läuft's nun mal.
Was bleibt von dieser ganzen Episode? Ein bitterer Nachgeschmack, definitiv. Aber auch eine Erkenntnis: Man muss für sich selbst einstehen. Niemand sonst tut es.
Und die Genossenschaft? Bisher läuft's gut. Die Kommunikation ist persönlicher, man hat einen festen Ansprechpartner. Neulich riefen die sogar an, um zu fragen, ob alles in Ordnung ist. Nach dem Sturm letzte Woche. „Nur zur Sicherheit", sagte die Dame.
Das hat mich gefreut. Ein bisschen Menschlichkeit in der Versicherungswelt. Vielleicht haben wir doch die richtige Wahl getroffen.
Zeit wird's zeigen. Hoffentlich ohne weitere Schadensfälle. Aber falls doch – wir sind gewappnet. Mit Versicherung, Dokumentation und der Erkenntnis, dass man sich auf niemanden außer sich selbst wirklich verlassen kann.
Klingt pessimistisch? Vielleicht. Ich nenne es realistisch. Das Leben hat uns gelehrt: Vertraue, aber prüfe nach. Besonders bei Versicherungen.