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Wohnen & Alltagstipps

Ein Blick aus unserem Küchenfenster, während der Kaffee noch zu heiß ist

by Winterberg 2025. 8. 12.

Von diesem einen Ding, das plötzlich alles ist

Letzte Woche stand ich vor unserem alten Sessel – diesem grünen Ungetüm vom Trödelmarkt – und musste lachen. Mein Mann hatte gerade versucht, das Loch in der Armlehne mit Panzertape zu flicken. Silbernes Panzertape auf waldgrünem Stoff. „Das ist jetzt Industrial Chic", meinte er und grinste.

Der Sessel steht bei uns am Fenster. Seit gut einem Jahr. Vorher stand er... keine Ahnung mehr, ehrlich gesagt. Im Schlafzimmer? Neben dem Bücherregal? Wir streiten manchmal noch darüber, aber mehr aus Sport als aus echtem Interesse. Was zählt ist: Er steht jetzt da, wo er hingehört.

Neulich las ich einen Artikel über „Third Places" – diese Orte zwischen Zuhause und Arbeit, wo Menschen zusammenkommen. Cafés, Parks, Bibliotheken. Der Soziologe Ray Oldenburg hat das in den 80ern geprägt. Aber während ich da so las, dachte ich: Was ist eigentlich mit den Orten IN unserem Zuhause? Diese kleinen Refugien, die weder Bett noch Schreibtisch sind?

Bei uns ist das dieser Sessel. Morgens um sechs, wenn die Welt noch schläft und der erste Kaffee dampft, gehört er mir. Das ist keine offizielle Regel, hat sich einfach so ergeben. Genau wie die Tatsache, dass mein Mann abends dort mit seinem Tablet sitzt und mir Schlagzeilen vorliest. „Hör mal, was hier steht..." – mindestens dreimal pro Abend.

Gestern saß ich wieder dort, diesmal mit Tee statt Kaffee. Draußen nieselte es, dieser typische Oktoberregen, der eigentlich nur Luftfeuchtigkeit mit Ambitionen ist. Der Nachbar rannte in Unterhose über den Rasen, um seine Wäsche zu retten. Ich kicherte in meine Tasse. Dann fiel mir ein, dass ich letzte Woche im Pyjama zum Briefkasten gelaufen bin. Um halb elf. Vormittags. Die Postbotin hat nur genickt, als wäre das völlig normal.

Es gibt da diese Studie von der University of British Columbia über Lieblingsplätze in der Wohnung. 73% der Befragten hatten einen speziellen Ort, an den sie sich zurückziehen. Nicht zum Arbeiten oder Schlafen – einfach zum Sein. Die Forscher nannten es „restorative spaces", Orte der Wiederherstellung. Klingt hochtrabend, aber ich verstehe, was sie meinen.

Meine Mutter hat mir mal erzählt, dass sie früher jeden Abend in der Küche saß, wenn wir Kinder im Bett waren. „Das war MEINE Zeit", sagte sie. „Mit einer Tasse Tee und endlich Stille." Heute sitzt sie immer noch dort, nur der Tee ist jetzt koffeinfrei und die Stille anders – nicht mehr erschöpft, sondern friedlich.

Bei meinem Vater war es die Werkbank im Keller. Er hat dort Sachen „repariert". In Anführungszeichen, denn die Hälfte der Zeit hat er nur an irgendwelchen Holzstücken rumgeschnitzt und Radio gehört. WDR 4, immer WDR 4. „Ein Mann braucht einen Ort, wo er einfach nur rumwerkeln kann", sagte er. Damals fand ich das albern. Heute verstehe ich es.

Die Sache mit unserem Sessel begann eigentlich als Unfall. Wir wollten nur die Heizung entlüften, an einem dieser Samstage, wo man eigentlich nichts vorhat. Kennt ihr das? Man will nur eine Kleinigkeit erledigen und plötzlich räumt man die halbe Wohnung um?

Bei uns fing es damit an, dass das Sofa angeblich falsch stand. „Wenn wir es zur anderen Wand schieben, haben wir mehr Platz für den Couchtisch", argumentierte mein Mann. Physikalisch hatte er recht, das gebe ich zu. Also: Sofa verschieben. Aber dann passte der Tisch nicht mehr. Und wenn der Tisch woanders hin muss, dann auch das Regal. Und die Stehlampe. Und...

Um acht Uhr abends standen wir verschwitzt in unserer neu arrangierten Wohnung. Der Sessel war das letzte Puzzleteil. „Stell ihn einfach ans Fenster", sagte ich. „Erstmal provisorisch."

Provisorisch. Bei uns ist das ein geflügeltes Wort. Die Bilder, die seit drei Jahren an der Wand lehnen? Provisorisch. Der Wäscheständer im Bad? Provisorisch seit 2019. Der Karton mit „Diverses" im Flur? Den gibt's seit unserem Einzug.

Aber der Sessel... der hat sich festgewachsen. Nach zwei Wochen kam ein Beistelltisch dazu – so ein wackeliges Erbstück von meiner Schwiegermutter. „Falls ihr es brauchen könnt", ihre Standardformulierung für: „Ich will es loswerden, aber nicht wegschmeißen."

Jetzt liegt dort alles Mögliche: Bücher, Brillen, einzelne Socken (warum immer nur EINE?), halbe Kekse unbekannten Alters, Kugelschreiber, die garantiert nicht mehr schreiben. Letzte Woche lag dort ein Schraubenzieher. Einfach so. Keiner weiß, warum.

Interessanterweise streiten wir uns nie um diesen Platz. Bei allem anderen – Fernbedienung, letztes Stück Kuchen, Filmauswahl – gibt es Verhandlungen. Aber der Sessel? Da haben sich unausgesprochene Regeln entwickelt. Morgens meiner, abends seiner, Wochenende flexibel.

Es gibt dieses Konzept in der Umweltpsychologie: „place attachment", Ortsbindung. Menschen entwickeln emotionale Verbindungen zu bestimmten Räumen. Das ist evolutionär sinnvoll – wer seinen sicheren Platz kannte, überlebte länger. Heute geht es nicht mehr ums Überleben, aber das Bedürfnis ist geblieben.

Christopher Alexander, ein Architekt und Philosoph, schrieb in „A Pattern Language" über die Wichtigkeit von Fensternischen. Er argumentierte, dass Menschen instinktiv Plätze suchen, wo sie gleichzeitig geschützt sitzen und nach draußen schauen können. Höhlengefühl trifft Aussicht. Unser Sessel macht genau das.

Von dort aus sehe ich den Kirschbaum des Nachbarn – jetzt im Herbst ein Feuerwerk aus Orange und Rot. Dahinter das Dach der alten Schule, die zu Wohnungen umgebaut wurde. Manchmal sehe ich die Leute in der obersten Etage frühstücken. Ist das creepy? Vielleicht. Aber es ist auch menschlich. Wir sind soziale Wesen, wir beobachten einander. Das haben wir schon immer getan.

In Japan gibt es das Konzept des „Engawa" – ein überdachter Holzgang, der das Haus umgibt. Nicht ganz drinnen, nicht ganz draußen. Ein Schwellenraum. Unser Sessel am Fenster ist unser Engawa. Ein Ort zwischen privatem Rückzug und Weltbeobachtung.

Neulich hatte ich einen dieser Tage, wo alles schiefgeht. Verschlafen, Zug verpasst, Kaffee über die neue Bluse (die teure, für die ich drei Monate gespart hatte), wichtiges Meeting vergessen. Als ich nach Hause kam, bin ich direkt zum Sessel. Schuhe noch an, Jacke noch an. Einfach hingesetzt.

Mein Mann kam, sagte nichts, brachte Tee. Den mit Honig, den ich mag, wenn's mir dreckig geht. Setzte sich auf die Armlehne, Hand auf meiner Schulter. Wir schauten raus. Eine Amsel hüpfte im Kirschbaum herum, hin und her, als würde sie was Wichtiges suchen. Oder hatte sie auch einen schlechten Tag? Kann man das bei Amseln überhaupt sagen?

Nach zwanzig Minuten fragte er: „Pizza?" Ich nickte. „Extra Käse." Das war's. Keine große Analyse, kein „Willst du drüber reden?". Nur Pizza mit extra Käse und später ein Film, von dem ich heute nicht mehr weiß, worum es ging.

Psychologen nennen das „co-regulation" – wenn die Anwesenheit eines anderen Menschen unser Nervensystem beruhigt. Babys lernen das zuerst, aber wir brauchen es ein Leben lang. Manchmal reicht es, wenn jemand einfach da ist. Auf der Armlehne eines alten Sessels.

Die Dänen haben „Hygge", dieses Konzept von Gemütlichkeit und Wohlbefinden. Die Schweden haben „Lagom" – nicht zu viel, nicht zu wenig, genau richtig. Die Deutschen... wir haben „Gemütlichkeit", aber das trifft es nicht ganz. Unser Sessel ist mehr als gemütlich. Er ist... tja, er ist einfach da.

Letztes Wochenende waren Freunde da. Sarah und Tom, die mit der Fast-Hecken-Abfackel-Geschichte vom letzten Sommer. Sarah meinte: „Der Sessel passt ja gar nicht zum Rest." Stimmte. Mintgrünes Sofa (sah im Laden anders aus, schwöre ich), dunkler Holztisch von meinen Eltern, weiße Ikea-Regale, und dann dieser waldgrüne Ohrensessel mit Blümchenmuster, das man nur bei direktem Sonnenlicht sieht.

Tom schlug einen „Designersessel" vor. Designer! Als ob wir uns zwischen Miete, Nebenkosten und dem gelegentlichen Restaurantbesuch noch einen Designersessel leisten könnten. Und selbst wenn – ich will keinen. Ich will meinen Sessel mit dem Loch (inzwischen panzertape-geflickt), den Kratzspuren der Nachbarskatze und dem Kaffeefleck vom letzten Weihnachten.

Der Kaffeefleck hat eine Geschichte. Mein sechsjähriger Neffe wollte unbedingt „wie die Großen" Kaffee trinken. Wir gaben ihm Milch mit einem Schuss Kaffee. Er schaffte zwei Schlucke, dann kippte die Tasse. Seitdem ist da dieser braune Halbmond auf der linken Armlehne. Meine Schwester war entsetzt, wollte sofort putzen. „Lass", sagte ich. „Das ist jetzt Teil der Geschichte."

Walter Benjamin schrieb über die „Aura" von Objekten – diese einzigartige Präsenz, die durch ihre Geschichte entsteht. Massenware hat keine Aura. Aber ein Sessel mit Kaffeefleck, Katzenkrallen und Panzertape? Der hat Aura.

Die Nachbarskatze kommt übrigens regelmäßig durchs gekippte Fenster. Orange-getigert, selbstbewusst wie eine Diva. Einmal lag sie zusammengerollt im Sessel, als ich vom Einkaufen kam. Hat mich angeschaut: „Was? Problem?" Seitdem darf sie auf die Armlehne.

Mein Mann ist allergisch gegen Katzen, aber die Armlehne geht noch. „Solange sie nicht ins Gesicht springt", sagt er. Die Katze scheint das zu verstehen. Sie hält Abstand, schnurrt leise, manchmal stupst sie ihn vorsichtig mit der Pfote an. Katzen-Diplomatie.

Es gibt Studien über die beruhigende Wirkung von Katzen. Der Schnurrton liegt bei 25-50 Hertz, einer Frequenz, die nachweislich Stress reduziert und sogar die Knochenheilung fördert. Verrückt, oder? Aber wenn ich die Katze auf der Armlehne schnurren höre, während ich meinen Morgenkaffee trinke, glaube ich das sofort.

Jeden Morgen das gleiche Ritual: Aufstehen, Kaffee kochen, zum Sessel. Draußen ist es noch dunkel im Winter, die Straßenlaternen brennen. Ich sehe den Nachbarn von gegenüber, der um sechs zur Frühschicht fährt. Die Frau zwei Häuser weiter, die joggen geht – bei jedem Wetter, respekt. Den Zeitungsboten auf seinem Fahrrad, der die Lokalzeitung in die Briefkästen stopft.

Diese Routinen anderer Menschen zu beobachten hat etwas Beruhigendes. Als würde die Welt weiterlaufen, egal was passiert. Der Nachbar fährt zur Arbeit, die Joggerin joggt, der Zeitungsbote liefert. Kontinuität im Chaos.

Anthropologen sprechen von „social grooming" – bei Affen ist das gegenseitiges Lausen, bei Menschen sind es diese kleinen sozialen Interaktionen. Das Nicken zum Nachbarn, das „Morgen!" zur Joggerin. Vom Sessel aus bin ich Teil dieses Netzes, ohne aktiv teilnehmen zu müssen.

Letzte Woche sah ich, wie der alte Herr von schräg gegenüber stürzte. Einfach so, auf dem Gehweg. Ich rannte runter, barfuß, nur im Morgenmantel. Andere kamen auch. Die Blumenfrau hatte schon den Krankenwagen gerufen, der Typ aus dem zweiten Stock legte seine Jacke unter den Kopf des Alten.

War nicht schlimm, nur gestolpert. Aber in diesem Moment waren wir keine anonymen Nachbarn mehr. Wir waren eine Gemeinschaft. Der alte Herr brachte später Kuchen vorbei. „Selbstgebacken", behauptete er. Schmeckte nach Dr. Oetker, aber egal. Die Geste zählte.

Seitdem grüßen wir uns anders. Nicht nur Kopfnicken, sondern richtige Grüße. „Wie geht's?" „Schönes Wetter heute!" Smalltalk, klar, aber es ist ein Anfang. Der Soziologe Robert Putnam schrieb in „Bowling Alone" über den Verlust von Gemeinschaft. Vielleicht fängt die Wiederbelebung bei einem gestürzten Nachbarn an. Oder bei einem Sessel am Fenster.

Abends, wenn es dunkel ist, wird der Sessel zum Logenplatz. Die Fenster der anderen Wohnungen leuchten wie kleine Bühnen. Da drüben wird gekocht, man sieht den Dampf. Zwei Häuser weiter flimmert der Fernseher. Im Dachgeschoss übt jeden Dienstag einer Gitarre. Er wird besser, langsam aber stetig.

Diese Leben der anderen zu sehen, ohne einzugreifen – es ist wie ein stummer Film. Man denkt sich die Geschichten dazu. Das Paar, das kocht, hat vielleicht gerade geheiratet. Der Fernseher-Mensch ist vielleicht einsam. Der Gitarrist träumt von der großen Karriere. Oder auch nicht. Vielleicht sind sie alle vollkommen zufrieden mit ihrem Kochen, Fernsehen, Üben.

Edward Hopper malte solche Szenen. „Nighthawks", sein berühmtestes Bild, zeigt Menschen in einem Diner, von außen betrachtet. Diese Distanz, die gleichzeitig Nähe ist. Vom Sessel aus bin ich Hopper, nur ohne Pinsel.

Mein Mann sagt, ich „throne" dort. Mit diesem Augenzwinkern, das nach zwölf Jahren Ehe zwischen nervig und liebenswert pendelt. Aber er hat recht. Es ist ein Thron. Mein Beobachtungsposten, meine Festung, mein Rückzugsort.

Die Japaner haben noch ein Konzept: „Ikigai" – der Grund, morgens aufzustehen. Große Lebensziele, heißt es oft. Aber ich glaube, es kann auch klein sein. Der erste Kaffee im grünen Sessel. Die Amsel im Kirschbaum. Die Nachbarskatze, die schnurrend auf der Armlehne liegt.

Neulich fragte meine Freundin: „Was würdet ihr retten, wenn's brennt?" Früher hätte ich gesagt: Fotoalben, Laptop, wichtige Dokumente. Heute denke ich manchmal: den Sessel. Was natürlich Quatsch ist, viel zu schwer und sperrig. Aber der Gedanke zeigt, wie wichtig er geworden ist.

Es ist ja nicht der Sessel selbst. Es sind die Stunden darin. Die Morgenkaffees, die Abendlektüren, die geteilten Schweigemomente. Die Male, wo ich geweint habe – aus Frust, aus Trauer, aus Freude. Die Male, wo wir uns reinquetscht haben, beide zusammen, unbequem aber nah.

In der Verhaltenspsychologie gibt es den Begriff „Konditionierung". Wir verbinden Orte mit Gefühlen. Der Sessel ist konditioniert mit Ruhe, Geborgenheit, Zuhause-Sein. Pawlow würde nicken. Nur dass es hier nicht um Speichelfluss geht, sondern um Seelenfrieden.

Der Bezug müsste wirklich mal erneuert werden. Das Loch wird trotz Panzertape größer, die Füllung quillt raus wie Watte aus einer Wunde. Wir haben über Neubezug nachgedacht, aber das kostet mehr als ein neuer Sessel. „Dann kaufen wir halt einen neuen", schlug mein Mann vor. Wir schauten uns an. Beide schüttelten wir den Kopf. Unmöglich.

Es wäre wie einen alten Freund zu ersetzen. Klar, ein neuer Sessel wäre praktischer. Sauberer. Moderner. Aber er hätte keine Geschichte. Keine Kaffeeflecken vom Neffen, keine Kratzspuren der Nachbarskatze, kein Panzertape-Flickwerk.

Marie Kondo würde sagen: „Spark joy" – Freude entfachen. Der Sessel entfacht keine Freude, er IST Freude. Stille, unspektakuläre, alltägliche Freude. Die Art, die man erst vermisst, wenn sie fehlt.

Im Urlaub diesen Sommer – eine Woche Ostsee, schönes Hotel, Strandblick – ertappte ich mich beim Gedanken: „Jetzt einen Kaffee im grünen Sessel." Mein Mann gestand später das Gleiche. Sind wir spießig geworden? Mit Mitte vierzig schon so festgefahren?

Aber dann kamen wir nach Hause, und das Erste nach dem Kofferablegen: Wir quetschten uns beide in den Sessel. Ging gerade so, die Armlehne drückte, sein Ellbogen in meinen Rippen. Aber für diesen Moment war es perfekt. Wir waren wieder da.

Virginia Woolf schrieb über „A Room of One's Own" – ein eigenes Zimmer. Aber was, wenn man kein ganzes Zimmer braucht? Was, wenn ein Sessel reicht? Ein Quadratmeter Selbstbestimmung, mehr nicht.

Gestern saß dort mein Mann mit seinem dritten Kaffee (er behauptet, es war der zweite). Las auf dem Handy, grinste. Wahrscheinlich diese Memes, die er mir später zeigt. „Guck mal, ein Hund mit Sonnenbrille!" Ich lache dann pflichtschuldig. Nach zwölf Jahren weiß man, wann Lachen wichtiger ist als Humor.

Draußen schien die Herbstsonne durch die Wolken, dieses goldene Licht, das alles weicher zeichnet. Der Kirschbaum warf Schatten aufs Fensterbrett, Staubpartikel tanzten in der Luft. Sollte mal wieder wischen. Mache ich morgen. Oder übermorgen. Oder wenn Besuch kommt.

Der Philosoph Gaston Bachelard schrieb über die „Poetik des Raumes". Wie Orte zu Metaphern unseres Inneren werden. Keller sind das Unbewusste, Dachböden die Erinnerung. Und Sessel am Fenster? Vielleicht die Gegenwart. Der Ort, wo wir einfach SIND.

Manchmal denke ich, unsere ganze Zivilisation krankt daran, dass wir keine Sessel mehr haben. Metaphorisch gesprochen. Keine Orte zum Innehalten. Zum Schauen. Zum Nichtstun. Stattdessen: Optimierung, Effizienz, Produktivität. Selbst die Freizeit muss „sinnvoll" sein.

Aber was ist sinnvoller als dazusitzen und die Amsel zu beobachten? Als die Tasse in beiden Händen zu wärmen? Als zu spüren, wie der Tag langsam in einem ankommt?

Mein Vater hatte recht: „Man muss auch mal nichts tun." Damals, in seinem Werkzeugschuppen, mit dem Radio und den Holzschnitzereien. Er hat verstanden, was wir verlernt haben: Dass Nichtstun keine Zeitverschwendung ist. Es ist Seelenpflege.

Der Sessel bleibt. Mit Loch, Flecken, Panzertape und allem. Bis er auseinanderfällt. Und selbst dann würden wir wahrscheinlich versuchen, ihn zu retten. Mit noch mehr Panzertape. Oder Kabelbindern. Oder Hoffnung.

Heute Morgen saß ich wieder dort. Sechs Uhr, erster Kaffee, draußen noch dunkel. Die Straßenlaterne flackerte – sollte mal jemand reparieren. Der Nachbar fuhr zur Arbeit, die Joggerin joggte, alles wie immer. Die Katze kam, legte sich auf die Armlehne, schnurrte.

Ich dachte an nichts Besonderes. An den Tag, der kommt. An den Einkaufszettel. An gar nichts. Und das war genau richtig.

Vielleicht ist das das Geheimnis: Nicht die großen Momente machen ein Leben aus. Sondern diese kleinen Inseln der Stille. Diese Sessel am Fenster, echte oder metaphorische. Diese Orte, wo wir einfach sein dürfen.

Wo wir nicht Mutter sind oder Vater, nicht Angestellte oder Chef, nicht Nachbar oder Freund. Wo wir einfach nur wir sind. Mit einer Tasse Kaffee und einem Blick aus dem Fenster.

Der Kaffee ist kalt geworden, während ich das hier geschrieben habe. Macht nichts. Ich hole mir einen neuen. Und dann setze ich mich in den Sessel. Wo sonst?