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Wohnen & Alltagstipps

Die kleine Revolution im Flur

by Winterberg 2025. 8. 12.

Gestern Abend, während ich die letzten Krümel vom Abendbrot wegwischte, fiel mein Blick auf unseren Flur. Genauer gesagt auf das Chaos dort. Vierzehn Paar Schuhe. Ich hab sie gezählt. Vierzehn! Dabei sind wir nur zu zweit. Thomas meinte, das sei völlig normal, aber ich glaube, er hat nur keine Lust, seine alten Wanderstiefel auszusortieren.

Wie wir überhaupt zu Menschen wurden, die ihre Schuhe im Flur ausziehen? Das ist eine längere Geschichte. Eine, die mit einem peinlichen Abend anfing und bei der ich heute noch rot werde, wenn ich dran denke.

Es war vor etwa vier Jahren. Wir hatten gerade neue Nachbarn bekommen – Akiko und ihr Mann Marcus. Sie ist aus Japan, er aus München, kennengelernt haben sie sich beim Studium in London. Wir luden sie zum Kennenlernen ein, wie man das so macht. Ich hatte extra was Besonderes gekocht, Hähnchen mit dieser Zitronen-Kräuter-Kruste, die immer gut ankommt.

Die beiden standen in unserem Flur, und dann passierten zwei Dinge gleichzeitig: Akiko bückte sich ganz selbstverständlich, um ihre Schuhe auszuziehen, während Marcus schon mit seinen Straßenschuhen Richtung Wohnzimmer marschierte. Sie tauschten einen kurzen Blick, dann zog auch er seine Schuhe aus. Thomas und ich? Wir standen da in unseren Straßenschuhen und wussten nicht, was wir machen sollten. In unserer eigenen Wohnung.

„Oh, ihr müsst die Schuhe nicht ausziehen", sagte ich schnell. Akiko lächelte höflich. „Ist schon okay, wir sind es so gewohnt." Dieser Moment, als sie in ihren Strümpfen und wir in Straßenschuhen dastanden – das war so unbeholfen, dass ich am liebsten im Boden versunken wäre.

Den ganzen Abend über spürte ich diese seltsame Spannung. Nicht unangenehm, aber... als würde etwas nicht stimmen. Später, als sie gegangen waren, schaute ich auf unseren Wohnzimmerteppich. Hellgrau war er mal gewesen. Jetzt eher so mittelgrau mit dunklen Laufspuren.

„Ist dir aufgefallen, wie sie auf unseren Boden geschaut hat?", fragte ich Thomas. „Wer?" „Akiko. Als sie ihre Socken wieder angezogen hat." Er zuckte mit den Schultern. „Nicht wirklich." Aber ich hatte es gesehen. Diesen kurzen Blick auf ihre Fußsohlen, die nicht mehr ganz sauber waren.

In Japan – das hab ich später nachgelesen, weil es mich nicht losließ – ist das Konzept von „uchi" und „soto" fundamental. Drinnen und draußen, sauber und schmutzig, privat und öffentlich. Die Grenze ist klar definiert, und die Schuhe markieren diese Grenze. Es geht nicht nur um Sauberkeit, sondern um Respekt. Respekt vor dem privaten Raum, vor der Familie, vor dem Zuhause.

Interessanterweise ist Japan da gar nicht so besonders. In den meisten asiatischen Ländern, in Skandinavien, in Osteuropa – überall ziehen die Menschen selbstverständlich die Schuhe aus, wenn sie ein Zuhause betreten. Wir Deutschen sind da gespalten. Die einen finden es spießig, die anderen unhygienisch, mit Schuhen durchs Haus zu laufen.

Bei uns war es eindeutig: Wir waren Schuhe-an-Menschen. Meine Eltern sind es heute noch. „Wir sind doch nicht auf dem Bauernhof", sagt meine Mutter immer. Dabei ist es lustig – gerade auf Bauernhöfen zieht man traditionell die Arbeitsschuhe aus, bevor man ins Haus geht. Diese Gummistiefel-Reihen in den Vorräumen alter Bauernhäuser, das kennt doch jeder.

Eine Woche nach dem Abend mit Akiko und Marcus hab ich einfach angefangen. Kam von der Arbeit, zog die Schuhe aus, stellte sie neben die Tür. Thomas kam nach Hause, sah meine Schuhe, sah mich in Socken und sagte: „Warum?" „Versuch's mal", sagte ich nur.

Er hat erstmal genervt geguckt. Thomas hasst Veränderungen. Wenn es nach ihm ginge, würden wir heute noch die Möbel von vor zehn Jahren haben. Aber am nächsten Tag zog er seine Schuhe auch aus. „Nur weil deine da so einsam aussehen", meinte er.

Was dann passierte, hätte ich nicht erwartet. Nach ein paar Tagen merkte ich, wie sich was veränderte. Dieser Moment des Nach-Hause-Kommens wurde zu einem kleinen Ritual. Tür auf, Tasche abstellen, Schuhe aus, tief durchatmen. Als würde man nicht nur die Schuhe ablegen, sondern auch den ganzen Tag, den Stress, die Außenwelt.

Es gibt tatsächlich Studien dazu. Forscher der University of California haben untersucht, wie sich Übergangsrituale auf unser Stresslevel auswirken. Menschen, die bewusste Übergänge zwischen Arbeit und Privatleben schaffen – und sei es nur durch das Ausziehen der Schuhe – haben niedrigere Cortisolwerte am Abend. Cortisol ist das Stresshormon, falls das jemand nicht weiß.

Thomas hat das auf seine Art entdeckt. „Weißt du was komisch ist?", sagte er nach etwa einem Monat. „Wenn ich jetzt wo anders meine Schuhe anlasse, im Haus meine ich, dann fühlt sich das falsch an. Als wäre ich nicht richtig angekommen."

Die praktischen Vorteile wurden schnell sichtbar. Wir mussten deutlich seltener putzen. Vorher war es ein ständiger Kampf gegen den Dreck, besonders im Herbst und Winter. Die Abdrücke von Thomas' Profilsohlen auf dem Küchenboden – ich könnte heute noch die Marke seiner Schuhe zeichnen, so oft hab ich die weggewischt.

Jetzt? Der Dreck bleibt größtenteils draußen. Was reinkommt, ist hauptsächlich Staub, der sowieso durch die Luft fliegt. Eine Studie der University of Arizona hat übrigens mal untersucht, was alles an Schuhsohlen klebt. Im Durchschnitt 421.000 Bakterien. Darunter E. coli, die man normalerweise im Darm findet. Wie die an Schuhsohlen kommt? Will man gar nicht so genau wissen.

Aber es geht nicht nur um Bakterien. Es geht um Mikroplastik von Autoreifen, um Pestizide von Rasenflächen, um Schwermetalle vom Straßenstaub. All das tragen wir mit unseren Schuhen rein. Forscher haben festgestellt, dass in Haushalten, wo Schuhe ausgezogen werden, die Schadstoffbelastung im Hausstaub bis zu 60 Prozent niedriger ist.

Trotzdem war die Umstellung nicht immer einfach. Die ersten Wochen stolperte ich ständig über Schuhe im Flur. Wir hatten kein System, keine Ordnung. Die Schuhe lagen einfach da, wo wir sie ausgezogen hatten. „Wir brauchen ein Schuhregal", sagte ich. „Wir brauchen weniger Schuhe", sagte Thomas.

Am Ende kauften wir beides. Ein Schuhregal – so ein schickes aus Bambus, das aussah, als könnte es was – und ich mistete aus. Drei Paar Schuhe, die ich seit zwei Jahren nicht getragen hatte. Thomas behielt natürlich alle seine. „Die Wanderstiefel brauch ich noch", sagte er. Die stehen heute noch da. Unbenutzt.

Das Lustige ist, wie unterschiedlich Menschen darauf reagieren. Handwerker zum Beispiel. Als wir die Heizung reparieren lassen mussten, stand ich da und wusste nicht, was ich sagen soll. Überschuhe anbieten? Drauf bestehen? Der Monteur hat die Entscheidung für mich getroffen: „Ich behalt die an, Sicherheitsschuhe müssen sein." Drei Stunden lang hatte ich seine Spuren in der ganzen Wohnung. Thomas hat abends alles gewischt und dabei Sachen gemurmelt, die ich hier nicht wiederholen will.

Bei Freunden ist es gemischt. Die einen ziehen automatisch die Schuhe aus – „Ist doch klar", sagen sie. Die anderen gucken irritiert. Manche fragen: „Muss das sein?" Dann fühle ich mich immer wie eine Spießerin. Bin ich eine geworden?

Meine Schwester sagt ja. „Ihr seid so typisch deutsch geworden", meinte sie letztens. Dabei ist sie diejenige mit den weißen Designermöbeln und dem Saugroboter, der dreimal täglich durchfährt. Aber bei ihr darf man mit Schuhen rein. „Ist doch viel zu umständlich", findet sie.

Die Kinder unserer Freunde haben übrigens am wenigsten Probleme damit. Die ziehen ihre Schuhe aus, als wäre es das Normalste der Welt. Liegt vielleicht daran, dass sie es aus Kindergarten und Schule kennen. Da ist Hausschuhpflicht. Lustig eigentlich – wir trainieren es den Kindern an und verlernen es dann als Erwachsene wieder.

In anderen Kulturen ist das anders. In der Türkei zum Beispiel würde niemand auf die Idee kommen, mit Straßenschuhen durchs Haus zu laufen. Eine türkische Kollegin hat mir mal erzählt, dass ihre Oma fast einen Herzinfarkt bekommen hätte, als sie deutsche Bekannte zu Besuch hatte, die einfach mit Schuhen reingemarschiert sind. „Sie hat danach den ganzen Tag geputzt und gebetet", sagte sie lachend.

In Russland und Polen ist es ähnlich. Da bekommt man als Gast oft Hausschuhe angeboten – diese Filzpantoffeln, die in verschiedenen Größen bereitstehen. Fand ich früher befremdlich, heute finde ich es gastfreundlich. Wir haben jetzt auch solche Gästehausschuhe. Vier Paar in verschiedenen Größen. Thomas findet das übertrieben. Bis sein Chef zu Besuch kam und sich sichtlich freute, dass er nicht in Socken rumlaufen musste.

Die Niederländer haben übrigens eine interessante Zwischenlösung: In vielen Haushalten läuft man mit Schuhen durchs Erdgeschoss, aber die Schlafräume im Obergeschoss sind schuhfreie Zone. Die Treppe markiert die Grenze zwischen öffentlich und privat.

Was mich am meisten überrascht hat: Wie sehr sich unser Körpergefühl verändert hat. Barfuß oder in Socken zu laufen aktiviert die Propriozeption – das ist die Eigenwahrnehmung des Körpers im Raum. Die Fußsohlen haben tausende Nervenenden, die ständig Informationen ans Gehirn senden. In Schuhen sind diese Signale gedämpft.

Thomas hat das besonders gemerkt. Er hatte früher oft Rückenschmerzen. Seit wir zu Hause ohne Schuhe laufen, sind die besser geworden. Kann Zufall sein, aber es gibt tatsächlich Studien, die einen Zusammenhang zwischen Barfußlaufen und besserer Körperhaltung zeigen. Die Fußmuskulatur wird gestärkt, das Fußgewölbe stabilisiert, und das wirkt sich auf die gesamte Körperstatik aus.

Neulich waren wir bei meinen Eltern. Alte Gewohnheit – ich wollte meine Schuhe ausziehen. „Lass mal an", sagte meine Mutter. Aber es fühlte sich so falsch an. Als würde ich in Straßenkleidung ins Bett gehen. Nach zehn Minuten hab ich sie doch ausgezogen. Meine Mutter hat nur den Kopf geschüttelt.

Der Winter war eine besondere Herausforderung. Nasse Schuhe, Schneematsch, Streusalz. Unser Flur sah aus wie ein Schlachtfeld. Wir haben uns dann so eine Schuhablage mit Abtropfschale gekauft. Sieht nicht schön aus, aber funktioniert. Thomas wollte erst eine Designer-Lösung – „Wenn schon, dann richtig" – aber 300 Euro für eine Schuhabtropfschale? Da wurde selbst ihm das zu bunt.

Die Geschichte mit den Hausschuhen ist ein Kapitel für sich. Ich hatte keine, Thomas auch nicht. Die ersten Wochen sind wir in Socken rumgelaufen. Dann wurde es kälter, und unsere Fußbodenheizung... na ja, die heizt mehr in der Theorie als in der Praxis.

„Wir brauchen Hausschuhe", sagte ich. Thomas hat geguckt, als hätte ich vorgeschlagen, uns Kittelschürzen zu kaufen. „Hausschuhe? Ernsthaft? Sind wir achtzig?"

Zwei Wochen später hatte er welche. Nicht irgendwelche – nein, diese orthopädischen Dinger mit Korkfußbett. „Für den Rücken", sagte er. Ich hab nichts gesagt, aber innerlich musste ich grinsen. Mein Mann, der vor vier Jahren noch behauptet hat, Crocs wären das Ende der Zivilisation, läuft jetzt in Gesundheitslatschen durchs Haus.

Ich hab mir auch welche gekauft. Nicht orthopädisch, aber flauschig. So richtig kitschig mit Plüsch. Thomas sagt, sie sehen aus wie Yeti-Füße. Mir egal. Sie sind warm, sie sind gemütlich, und wenn ich die anhabe, bin ich sofort im Feierabend-Modus.

Es ist verrückt, wie sehr so eine kleine Veränderung das Lebensgefühl beeinflusst. Unser Zuhause fühlt sich sauberer an, ruhiger, privater. Als hätten wir eine unsichtbare Grenze gezogen zwischen uns und der Welt da draußen.

Akiko und Marcus kommen übrigens regelmäßig zu Besuch. Neulich hat sie gelacht, als sie unseren Schuhberg im Flur gesehen hat. „Ihr seid ja richtiger geworden als wir", sagte sie. Stimmt sogar – Marcus läuft bei ihnen nämlich oft mit Schuhen rum, hat sie verraten. Die kulturellen Gewohnheiten verschwimmen, vermischen sich, entstehen neu.

Letzte Woche hatte ich einen dieser Tage. Alles ging schief, der Chef war unmöglich, die Bahn hatte Verspätung, und dann auch noch Regen ohne Schirm. Ich kam nach Hause, völlig fertig. Aber dann dieser Moment: Schuhe aus, Hausschuhe an, durchatmen. Thomas hatte Tee gemacht. Wir saßen in der Küche, ich in meinen Yeti-Füßen, er in seinen Opa-Latschen, und plötzlich war die Welt wieder in Ordnung.

„Weißt du was?", sagte er. „Ich glaube, das mit den Schuhen ausziehen war eine unserer besseren Entscheidungen." Ich nickte. „Auch wenn unser Flur jetzt aussieht wie ein Schuhgeschäft." „Ein sehr unordentliches Schuhgeschäft", ergänzte er.

Stimmt. Vierzehn Paar Schuhe für zwei Personen sind definitiv zu viel. Aber das sortieren wir nächste Woche aus. Oder übernächste. Erstmal genießen wir unseren schuhfreien Feierabend. Mit warmen Füßen, sauberem Boden und diesem Gefühl, wirklich zu Hause zu sein.

Manchmal sind es ja die kleinen Revolutionen, die das Leben verändern. Bei uns war es die Schuh-Revolution. Ausgelöst von einer Japanerin, einem Münchner und einem peinlichen Abend, den ich nie vergessen werde.

Heute bin ich dankbar dafür. Dankbar für den sauberen Boden, für das Ritual des Ankommens, für die warmen Hausschuhe an kalten Tagen. Und ja, sogar für den Schuhberg im Flur. Der erinnert mich jeden Tag daran, dass Veränderung möglich ist. Selbst bei Menschen wie uns, die eigentlich alles gern so lassen, wie es ist.

Obwohl... das Schuhregal müssen wir wirklich mal vergrößern. Aber das ist eine Geschichte für ein andermal.