
Vom Karotten-Drama zum Wochenplan
Kennst du das, wenn du den Kühlschrank aufmachst und dich drei traurige Karotten anklagen? So mit diesem Blick – falls Karotten Blicke haben könnten. Schrumpelig, blass, irgendwie vorwurfsvoll. Als würden sie sagen: „Wir hatten so viel Potenzial, und du hast uns vergessen."
Genau so einen Moment hatten wir letzten Monat. Wobei – ehrlich gesagt haben wir solche Momente ständig. Aber dieser war irgendwie der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Oder die Karotte, die den Kühlschrank zum Verzweifeln brachte. Du verstehst schon.
Markus hatte den Kühlschrank aufgemacht, um irgendwas für's Abendessen rauszuholen. Und da lagen sie. Hinten im Gemüsefach, vergessen und verloren. Er holte sie raus, drehte sie in der Hand, musterte sie von allen Seiten. Wie ein Arzt, der eine schlechte Diagnose stellen muss.
„Wir müssen das echt besser planen", sagte er dann.
Ich stand am Herd, rührte in einer Soße, die eigentlich auch schon improvisiert war, weil wir wieder mal nicht die richtigen Zutaten hatten. „Mhm", machte ich. Dieser unverbindliche Laut, der alles und nichts bedeutet.
„Nein, wirklich. Das kann doch nicht sein. Jede Woche werfen wir irgendwas weg."
Er hatte recht. Natürlich hatte er recht. Wir warfen ständig Sachen weg. Nicht dramatisch viel, aber genug, dass es störte. Diese halbe Gurke, die dann doch nicht in den Salat kam. Der Joghurt, der drei Tage über dem Datum war und den sich keiner mehr traute. Das Brot, das hart wurde, weil wir vergessen hatten, dass wir noch eins hatten. Solche Sachen.
„Okay", sagte ich und drehte mich um, „dann lass uns das ändern."
„Jetzt?"
„Warum nicht?"
Also haben wir die Soße vom Herd genommen, uns an den Küchentisch gesetzt – genau den Tisch, nach dem unser Blog benannt ist, was in diesem Moment irgendwie passend war –, und angefangen zu überlegen. Wie macht man das? Einen Essensplan. Der wirklich funktioniert. Nicht so einen, den man eine Woche durchhält und dann vergisst.
Ich hatte schon mal versucht, so einen Plan zu machen. Vor zwei Jahren oder so. Ich hatte mir ein schönes Notizbuch gekauft, extra dafür. Mit Spalten für jeden Tag, Listen für Einkäufe, das volle Programm. Die ersten drei Wochen lief es super. Dann wurde das Notizbuch zur Dekoration. Liegt heute noch in der Schublade, halb leer, stiller Zeuge meiner gescheiterten Ambitionen.
„Wir brauchen was Einfaches", sagte Markus. „Nichts Kompliziertes. Keine fancy Rezepte, die man nur mit zwölf Spezialzutaten hinkriegt."
„Und es muss flexibel sein", ergänzte ich. „Weil wir ja auch nicht immer Lust auf dasselbe haben."
„Genau. Flexibel, aber trotzdem strukturiert."
Klingt wie ein Widerspruch, oder? Ist es vielleicht auch. Aber genau das war der Punkt. Wir wollten Struktur, aber keine Gefängniszelle. Einen Plan, aber keinen Zwang. Und vor allem: Wir wollten weniger wegwerfen.
Ich hab später mal gelesen, dass in Deutschland jedes Jahr pro Person etwa 75 Kilogramm Lebensmittel im Müll landen. Fünfundsiebzig Kilo! Das sind ungefähr zwei Einkaufswagen voll. Wenn man sich das bildlich vorstellt, wird einem schon ein bisschen schlecht. Und das meiste davon – ich glaube, es waren über sechzig Prozent – wäre eigentlich noch genießbar gewesen. Es wurde einfach vergessen, falsch gelagert oder schlecht geplant.
Also ist es nicht nur uns so. Das war irgendwie beruhigend. Und gleichzeitig auch ein bisschen erschreckend. Weil – wenn wir alle so verschwenderisch sind, summiert sich das ganz schön. Aber an diesem Abend dachten wir noch nicht in solchen großen Dimensionen. Wir dachten an unsere drei traurigen Karotten und wie wir sowas in Zukunft vermeiden könnten.
„Okay", sagte ich und holte einen Zettel, „lass uns mal überlegen, was wir eigentlich meistens essen."
Wir fingen an aufzuschreiben. Pasta. Ofengemüse. Suppe. Salat. Pizza. Pfannengerichte. Curry. Nichts Spektakuläres. Einfache Sachen, die wir gerne mochten und die nicht ewig dauerten. Und dann schauten wir uns die Liste an und versuchten, ein System zu finden.
„Montags könnte Suppe sein", schlug Markus vor. „Da haben wir meistens noch Reste vom Wochenende, und die kann man super verwerten."
Gute Idee. Suppe ist so ein Alleskönner. Da kann man reinwerfen, was noch rumliegt. Die letzten Kartoffeln. Die Möhre, die einzeln und einsam in der Ecke liegt. Das bisschen Sellerie, das von letzter Woche übrig ist. Alles wird Suppe. Und meistens schmeckt's auch noch.
„Dienstags dann vielleicht eine Reste-Pfanne?", sagte ich. „Für alles, was die Suppe nicht geschafft hat."
„Und donnerstags Ofengemüse?"
„Ja. Das dauert nicht lang, und man kann einfach alles draufwerfen, was an Gemüse da ist."
Wir waren im Flow. Es fühlte sich an wie Tetris spielen. Nur mit Essen. Jeden Tag hatten wir eine grobe Kategorie, aber innerhalb dieser Kategorie war alles möglich. Montag Suppe – aber was für eine Suppe? Gemüse, Kartoffel, Linsen, Tomaten? Je nachdem, was da war. Donnerstag Ofengemüse – aber mit was? Kartoffeln, Kürbis, Paprika, Zucchini? Auch egal, solange es Ofengemüse war.
„Freitag sollte Pizza sein", sagte Markus bestimmt.
Ich lachte. Freitag ist bei uns eh meistens Pizza-Tag. Nicht aus einem besonderen Grund. Einfach, weil Freitag sich nach Pizza anfühlt. Nach Ende der Woche, nach Entspannung, nach „jetzt darf's auch mal einfach sein". Und Pizza ist perfekt für Resteverwertung. Diese einzelne Paprika, die schon ein bisschen schrumpelig wird? Ab auf die Pizza. Die drei Champignons, die übrig sind? Pizza. Der letzte Rest Käse, der nicht mehr für ein ganzes Gericht reicht? Pizza.
„Und sonntags?", fragte ich.
„Frei Schnauze", sagte Markus.
Frei Schnauze. Ich mochte die Formulierung. Sonntags wollten wir uns nicht festlegen. Da sollte Platz sein für Spontanes. Für das, worauf wir gerade Lust hatten. Für Experimente. Oder auch nur für Brot mit Käse, wenn wir einfach keine Lust zum Kochen hatten.
Wir schauten uns unseren improvisierten Plan an. Montag Suppe, Dienstag Reste-Pfanne, Donnerstag Ofengemüse, Freitag Pizza, Sonntag frei. Was war mit Mittwoch und Samstag? Die hatten wir einfach übersprungen. Mittwoch einigten wir uns auf was Schnelles – Pasta meistens, oder Brot mit Aufstrich, wenn's wirklich stressig war. Samstag wurde zum zweiten freien Tag, weil da oft Freunde kamen oder wir auswärts aßen.
Es war kein perfekter Plan. Es war eigentlich nicht mal ein richtiger Plan. Eher so eine grobe Richtlinie. Ein Gerüst. Aber genau das wollten wir ja.
Was interessant ist: Ich hab später mal gelesen, dass solche Essensroutinen nicht nur gegen Verschwendung helfen, sondern auch gegen Entscheidungsmüdigkeit. Dieses Phänomen kennt man aus der Psychologie – wenn man zu viele Entscheidungen treffen muss, wird jede einzelne anstrengender. Deshalb trug Steve Jobs immer dasselbe. Deshalb haben manche Leute morgens immer das gleiche Frühstück. Nicht aus Langeweile, sondern um Energie zu sparen für die wichtigen Entscheidungen.
Und genau das machte unser Plan auch. Wir mussten nicht jeden Abend neu überlegen: Was kochen wir heute? Sondern nur: Was für eine Suppe? Was für ein Ofengemüse? Die Grundstruktur stand, der Rest war flexibel. Weniger Stress, mehr Kreativität innerhalb eines Rahmens.
Die erste Woche haben wir den Plan tatsächlich durchgezogen. Montag gab's Gemüsesuppe mit allem, was noch rumlag – Karotten (ha!), Kartoffeln, ein bisschen Lauch. Dienstag eine Reste-Pfanne mit Reis und den Gemüseresten, die die Suppe nicht geschafft hatten. Donnerstag Ofengemüse mit Kichererbsen. Freitag Pizza. Sonntag haben wir improvisiert und sind bei Markus' Spezialität gelandet: Rührei mit allem Möglichen drin. Auch eine Art Resteverwertung, nur eben zum Frühstück.
Und weißt du was? Es hat funktioniert. Nicht perfekt – mittwochs haben wir den Plan komplett vergessen und sind doch zum Imbiss gegangen. Aber insgesamt? Viel besser als vorher.
Das Schönste war eigentlich der Moment, als ich am Ende der Woche den Kühlschrank aufmachte und feststellte: Da war nichts Vergammeltes. Kein schlechtes Gewissen. Keine traurigen Karotten. Ich stand da mit der Kühlschranktür in der Hand und musste grinsen. So ein kleiner Triumph. So ein blödes, befriedigendes Gefühl von: Wir haben's geschafft.
„Kleiner Sieg", sagte ich zu Markus.
Er nickte. Verstand sofort, was ich meinte.
Diese kleinen Siege sind wichtig, finde ich. Gerade im Alltag. Es sind nicht die großen Veränderungen, die einen weiterbringen. Es sind diese winzigen Momente, in denen man merkt: Okay, das klappt. Das funktioniert. Wir kriegen das hin.
Natürlich gab es auch Rückschläge. In der zweiten Woche haben wir den Plan schon wieder schleifen lassen. Dienstag hatten wir keine Lust auf Reste-Pfanne und haben stattdessen Pasta gemacht. Donnerstag kam spontan Besuch, und das Ofengemüse fiel aus. Freitag war ich zu müde für Pizza und wir haben bestellt. Und am Sonntag? Da hatten wir wieder diese traurigen Paprikas im Kühlschrank, die eigentlich freitags auf die selbstgemachte Pizza sollten.
Aber – und das ist der springende Punkt – es war trotzdem besser als vorher. Weil wir zumindest ein Bewusstsein hatten. Wir wussten, was wir eigentlich vorhatten. Und auch wenn wir davon abwichen, passierte es bewusst, nicht aus Vergesslichkeit.
Ich glaube, das ist überhaupt der Schlüssel bei solchen Plänen: Sie müssen unvollkommen sein dürfen. Sie müssen Platz lassen für Scheitern, für Abweichungen, für das echte Leben. Weil – seien wir ehrlich – niemand hält sich jeden Tag an einen Plan. Das Leben kommt dazwischen. Müdigkeit kommt dazwischen. Spontane Lust auf was anderes kommt dazwischen.
In Japan gibt es diese Philosophie namens „Wabi-Sabi". Das bedeutet so ungefähr: Schönheit in der Unvollkommenheit finden. Akzeptieren, dass nichts perfekt ist, nichts bleibt, nichts vollständig ist. Und trotzdem – oder gerade deswegen – hat es Wert. Diese Keramikschale mit dem kleinen Riss? Wunderschön. Der Garten mit dem verwilderten Eck? Authentisch. Der Essensplan, den man nur halb durchhält? Trotzdem besser als keiner.
Diese Einstellung hilft, finde ich. Gerade bei solchen Alltags-Projekten. Weil man sonst so schnell aufgibt. Man macht einen Plan, hält sich drei Tage dran, scheitert einmal, und dann denkt man: Ach, hat ja eh keinen Sinn. Aber eigentlich hat es Sinn. Auch wenn's nicht perfekt läuft.
Nach ein paar Wochen haben wir den Plan nochmal angepasst. Dienstags haben wir die Reste-Pfanne gestrichen, weil wir gemerkt haben: Meistens sind montags gar nicht so viele Reste übrig. Oder wir haben keine Lust auf eine zweite Resteverwertung hintereinander. Also haben wir den Dienstag zum zweiten Spontan-Tag gemacht. Und donnerstags haben wir zusätzlich zum Ofengemüse oft noch Couscous oder Quinoa gemacht, weil Gemüse alleine uns nicht satt machte.
Der Plan entwickelte sich. Wuchs mit uns. Passte sich an. Und genau so sollte es sein, denke ich. Nicht starr, sondern lebendig.
Was auch geholfen hat: Wir haben angefangen, gezielter einzukaufen. Nicht mehr „mal schauen, was wir so brauchen", sondern wirklich überlegen: Was brauchen wir für die Suppenwochen? Was für's Ofengemüse? Welche Basics sollten immer da sein? Dadurch hatten wir plötzlich auch weniger Stress beim Einkaufen. Früher sind wir manchmal dreimal die Woche zum Supermarkt, weil wir ständig irgendwas vergessen hatten. Jetzt? Einmal richtig einkaufen, und die Woche war gesichert.
Natürlich sind wir keine Meal-Prep-Profis geworden. Wir kochen nicht sonntags für die ganze Woche vor und frieren alles ein. Das wäre mir zu viel Aufwand, zu wenig Spontaneität. Aber diese grobe Struktur? Die hilft. Enorm.
Und das Schönste: Wir werfen wirklich weniger weg. Nicht null – das wäre unrealistisch. Aber deutlich weniger. Manchmal liegt immer noch eine vergessene Tomate im Kühlschrank. Oder der Salat wird welk, bevor wir ihn essen. Aber insgesamt? Viel, viel besser.
Es gibt Studien darüber, wie viel Geld der durchschnittliche Haushalt durch Lebensmittelverschwendung verliert. Ich glaube, es waren so um die 230 Euro pro Person und Jahr. Also fast 500 Euro für uns beide. Das ist ein Kurzurlaub. Oder eine neue Waschmaschine. Oder einfach nur Geld, das nicht im Müll landen muss.
Aber ehrlich gesagt geht's mir nicht nur ums Geld. Es geht auch um dieses Gefühl. Dieses blöde Schuldgefühl, wenn man was wegwirft. Weil man weiß: Das war mal ein Lebewesen. Oder es wurde mit Ressourcen angebaut – Wasser, Erde, Arbeit. Und dann landet es im Müll, weil man nicht organisiert genug war. Das fühlt sich nicht gut an.
Mit dem Plan fühlt sich das anders an. Nicht perfekt, aber besser. Verantwortlicher. Erwachsener, irgendwie. Ist das komisch? Dass so ein dummer Essensplan einem das Gefühl gibt, erwachsener zu sein?
Ich glaube nicht. Weil Erwachsensein ja genau das ist: Verantwortung übernehmen. Für die kleinen Dinge. Für den eigenen Kühlschrank, die eigene Küche, die eigenen Entscheidungen. Und zu merken, dass diese kleinen Entscheidungen sich summieren. Dass sie einen Unterschied machen.
Neulich haben wir mit Freunden darüber gesprochen. Beim Abendessen, natürlich – wo sonst redet man über Essen? Sie erzählten, dass sie auch ständig Sachen wegwerfen. Dass ihr Kühlschrank ein schwarzes Loch ist, in dem Gemüse einfach verschwindet. Wir haben ihnen von unserem Plan erzählt. Sie fanden's interessant, waren aber auch skeptisch.
„Schafft ihr das wirklich?", fragte Julia.
„Naja", sagte Markus, „nicht perfekt. Aber besser als vorher."
„Und es ist eigentlich ganz einfach", ergänzte ich. „Man braucht keinen fancy Plan, keine Apps, nichts. Einfach nur ein paar feste Punkte in der Woche."
Sie nickten nachdenklich. Ob sie's ausprobieren? Keine Ahnung. Aber vielleicht. Und vielleicht funktioniert's bei ihnen anders als bei uns. Weil jeder Haushalt anders ist, jedes Paar andere Vorlieben hat, jeder Alltag andere Anforderungen stellt.
Das ist auch was, das ich gelernt habe: Es gibt keine Universallösung. Was bei uns funktioniert, klappt vielleicht woanders nicht. Manche Leute brauchen einen detaillierten Plan mit genauen Rezepten und Einkaufslisten. Andere brauchen nur grobe Richtlinien. Wieder andere kommen ganz ohne Plan zurecht, weil sie einfach ein besseres Gefühl dafür haben, was im Kühlschrank ist und wann es aufgegessen werden muss.
Wir brauchen diesen Mittelweg. Diese Balance zwischen Struktur und Freiheit. Zu viel Struktur fühlt sich einengend an, zu wenig Struktur endet im Chaos. Also haben wir unseren eigenen Weg gefunden. Der nicht perfekt ist. Der sich immer wieder ändert. Aber der für uns funktioniert.
Mittlerweile, nach ein paar Monaten, ist der Plan so zur Routine geworden, dass wir kaum noch darüber nachdenken. Montags machen wir automatisch Suppe. Freitags automatisch Pizza. Es hat sich eingespielt. Und das ist eigentlich das Ziel, oder? Dass es keine bewusste Anstrengung mehr ist, sondern einfach normal.
Natürlich gibt's noch Ausnahmen. Letzte Woche hatten wir überhaupt keine Lust zu kochen und haben drei Tage hintereinander bestellt. Und vorletzte Woche waren wir im Urlaub, da gab's gar keinen Plan. Aber das ist okay. Weil der Plan kein Gefängnis ist, sondern ein Werkzeug. Und Werkzeuge benutzt man, wenn man sie braucht.
Was mich immer wieder überrascht: wie befriedigend es ist, den Kühlschrank aufzumachen und zu sehen, dass nichts vergammelt. So eine kleine Sache. So ein banaler Moment. Aber jedes Mal denke ich: Ja. Gut gemacht. Wir kriegen das hin.
Und die Karotten? Die landen jetzt in der Montagssuppe. Alle. Verlässlich. Keine traurigen Karotten mehr.
Naja, fast keine. Letzte Woche habe ich doch noch eine übersehen. Aber eine ist besser als drei, oder?