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Versicherungen & Recht

Aus Alt wird Erinnerung: Wie ein Jahreskalender unser Familienalbum wurde

by Winterberg 2025. 11. 14.

Was ein alter Kalender so alles erzählt

Weißt du, es gibt diese Momente, in denen man mitten in einer Bewegung innehält. So ein richtiger Freeze-Frame-Moment. Wie in einem Film, wenn plötzlich alles stoppt und man denkt: Warte mal. Genau so ging's mir mit unserem alten Kalender.

Es war Anfang Januar, draußen grau und kalt, drinnen gemütlich warm. Ich hatte gerade den neuen Kalender an die Wand gehängt – ein schöner mit Fotos von Küstenlandschaften, den mir meine Schwester zu Weihnachten geschenkt hatte. Der alte hing noch daneben, Dezember, das letzte Blatt. Zeit, ihn abzunehmen.

Ich griff nach ihm, nahm ihn von der Wand, wollte schon zum Papiermüll damit. Diese automatische Bewegung, die man macht, ohne nachzudenken. Alt, vorbei, weg. Aber dann – mitten im Schwung, der Arm schon ausgestreckt – hielt ich inne.

Da waren Fotos. Schöne Fotos. Und auf den weißen Flächen unter den Monatstagen: Notizen. Gekritzel. Kleine Zeichnungen von Lena, die sie an langweiligen Nachmittagen draufgemalt hatte. Ein kleines Herz neben dem 14. Februar. Ein Stern neben Weihnachten. Mein eigenes „Zahnarzt!" mit drei Ausrufezeichen im März. Markus' Schrift, klein und präzise: „Mama anrufen."

Ich stand da, mit dem Kalender in der Hand, halb über dem Papierkorb. Und dachte: Moment. Das ist doch zu schade.

„Was machst du da?", fragte Markus, der gerade mit einer Kaffeetasse in der Hand ins Wohnzimmer kam.

„Ich wollte den Kalender wegwerfen."

„Und?"

„Irgendwie kann ich nicht."

Er stellte die Tasse ab, kam zu mir, schaute auf den Kalender. Blätterte zurück. Januar, Februar, März. All die Monate, die wir durchlebt hatten. Mit allem, was dazugehörte. Den guten Tagen und den anstrengenden. Den Terminen und den leeren Flecken. Den Notizen und den Kritzeleien.

„Stimmt", sagte er dann. „Ist eigentlich zu schön zum Wegwerfen."

„Oder?"

„Was machen wir damit?"

Gute Frage. Was macht man mit einem alten Kalender? Bis zu diesem Moment hatte ich mir darüber nie Gedanken gemacht. Ein Jahr vorbei, Kalender weg, neuer her. So lief das. Jedes Jahr das Gleiche. Aber jetzt, wo ich wirklich hinschaute, sah ich: Da steckte mehr drin als nur Daten und Bilder.

Wir legten den Kalender auf den Küchentisch – natürlich auf den Küchentisch, wo sonst – und blätterten gemeinsam durch. Monat für Monat. Es war wie eine kleine Zeitreise. Im Februar stand „Lenas Geburtstag" mit einem großen Kreis drumherum. Im Mai „Urlaub!!!" mit zu vielen Ausrufezeichen, weil wir uns so darauf gefreut hatten. Im September hatte Felix einen Dinosaurier neben den 12. gemalt, aus irgendeinem Grund, den nur er kannte.

„Das ist ja fast wie ein Tagebuch", sagte Markus.

Und er hatte recht. Nicht absichtlich, nicht geplant. Aber über die Monate hatte sich der Kalender in eine Art ungeordnetes, fragmentarisches Tagebuch verwandelt. Jeden Tag ein kleines Kästchen. Und manche davon hatten wir mit Leben gefüllt. Mit Terminen, Erinnerungen, spontanen Gedanken.

Ich habe später mal über Tagebücher gelesen, über deren psychologische Wirkung. Dass das Aufschreiben von Erlebnissen hilft, sie zu verarbeiten. Dass es das Gedächtnis stärkt, Selbstreflexion fördert, sogar Stress reduzieren kann. Aber die meisten Menschen führen kein richtiges Tagebuch. Zu aufwendig, zu zeitintensiv, zu intim vielleicht auch. Aber ein Kalender? Der ist eh da. Der hat eh diese kleinen Kästchen. Und man schreibt eh Sachen rein – Termine, Geburtstage, Erinnerungen. Ganz nebenbei entsteht daraus eine Art Chronik des Alltags.

„Was machen wir jetzt damit?", fragte ich wieder.

Markus überlegte. Blätterte nochmal durch. Blieb bei einem Monatsbild hängen – Juli, ein wunderschönes Foto von einem Sonnenblumenfeld. Leuchtend gelb, strahlend, voller Sommer.

„Das könnte man ausschneiden", sagte er. „Als Lesezeichen oder so."

„Stimmt. Oder als Geschenkanhänger."

„Genau."

Und so fing es an. Wir begannen, die schönsten Bilder rauszuschneiden. Nicht alle, nur die, die uns wirklich gefielen. Das Sonnenblumenfeld aus dem Juli. Die herbstlichen Blätter aus dem Oktober. Die verschneite Landschaft aus dem Dezember. Jedes Bild für sich genommen war ein kleines Kunstwerk. Zu schade, um es einfach wegzuwerfen.

Die Kinder fanden die Idee super. Lena wollte die Bilder für ihre Freundinnen verwenden. „Wie echte Postkarten", sagte sie begeistert. Felix fragte, ob er auch welche haben könne. Für seine Schatzkiste, sagte er. Diese Kiste, in der er alles sammelt, was ihm wichtig erscheint – Steine, Muscheln, Zettel, Schnüre. Jetzt auch Kalenderbilder.

Ich selbst hatte eine andere Idee. Ich führe seit ein paar Jahren ein Notizbuch. Keine strukturierte Sache, eher ein wildes Sammelsurium aus Gedanken, Listen, Kritzeleien. Und dachte: Die kleinen Bilder würden da gut reinpassen. Als Deko, als Farbtupfer, als kleine Erinnerungen an bestimmte Monate.

Also schnitt ich Ausschnitte aus. Die strahlende Sonne aus dem Juli. Das orange-rote Herbstblatt aus dem Oktober. Die verschneiten Tannen aus dem Dezember. Klebte sie in mein Notizbuch, neben Einträge, die aus der gleichen Zeit stammten. Plötzlich hatte das Buch nicht nur Text, sondern auch Bilder. Wurde lebendiger. Bunter. Persönlicher.

Markus schnitt größere Stücke aus und lochte sie an einer Ecke. Fertige Geschenkanhänger. „Für Geburtstage", erklärte er. „Ist doch viel schöner als diese langweiligen gekauften."

Er hatte recht. Diese kleinen, selbstgemachten Anhänger hatten was. Waren persönlicher. Individueller. Nicht perfekt, aber genau deswegen charmant.

Was mir dabei klar wurde: Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Klingt wie so ein abgedroschener Spruch, ich weiß. Aber es stimmt halt. Wir kaufen, benutzen, werfen weg. Ohne groß nachzudenken. Der Kalender ist vorbei? Ab in den Müll. Die Zeitschrift gelesen? Weg damit. Das Geschenkpapier vom Geburtstag? Kann weg.

Dabei steckt in vielen dieser Dinge mehr als nur ihr ursprünglicher Zweck. Ein Kalender ist nicht nur ein Kalender. Er ist ein Begleiter durchs Jahr. Er hängt an der Wand, man schaut jeden Tag drauf, man schreibt rein, man plant damit. Er wird Teil des Lebens. Und am Ende des Jahres? Enthält er Spuren dieses Lebens. Notizen, Kritzeleien, Erinnerungen.

In Japan gibt es diese Kultur der Wertschätzung für Dinge. „Mottainai" nennt sich das – ein Wort, das schwer zu übersetzen ist, aber ungefähr bedeutet: Verschwendung ist schade, jedes Ding hat Wert. Man wirft nicht einfach weg, was noch Nutzen haben könnte. Man repariert, man verwendet um, man schätzt wert. Diese Haltung zieht sich durch viele Bereiche – von Kleidung über Essen bis hin zu Alltagsgegenständen.

Wir sind davon weit entfernt. Aber dieser Moment mit dem Kalender – das war so ein kleiner Mottainai-Moment. Dieses Innehalten und Denken: Halt, das ist zu schade.

Und es ist nicht nur eine Frage von Wertschätzung. Es ist auch eine Frage von Kreativität. Was kann man aus etwas machen, das eigentlich „fertig" ist? Wie kann man es neu nutzen, anders sehen, weiterverwenden?

Die nächsten Wochen wurden die Kalenderbilder zu einem kleinen Projekt. Wir machten Collagen daraus. Schnitten verschiedene Motive aus, klebten sie zusammen, kreierten neue Bilder. Lena bastelte Karten für ihre Großeltern – bunte Zusammenstellungen aus Sonnen, Blumen, Tieren. Felix nutzte ein großes Bild als Hintergrund für ein selbstgemaltes Monster. Kunst? Vielleicht nicht. Aber Spaß? Definitiv.

Ich machte aus ein paar Bildern kleine gerahmte Kunstwerke. Nichts Aufwendiges – einfach die schönsten Motive ausgeschnitten und in billige Bilderrahmen gesteckt. Einer davon hängt jetzt in der Küche. Das Sonnenblumenfeld aus dem Juli. Jedes Mal, wenn ich es sehe, denke ich an den Sommer zurück. An heiße Tage, an Eis essen, an die Kinder im Planschbecken.

Markus nutzte einige der abstrakteren Bilder – Farbverläufe, geometrische Muster – als Hintergründe für selbstgemachte Lesezeichen. Er laminierte sie sogar, damit sie länger halten. Sehen professionell aus, obwohl sie's nicht sind.

Der Rest des Kalenders? Der wurde tatsächlich recycelt. Aber – und das ist der Punkt – mit einem anderen Gefühl. Nicht gedankenlos weggeworfen, sondern bewusst entsorgt. Nach dem Motto: Wir haben rausgeholt, was wertvoll war, und den Rest geben wir zurück in den Kreislauf.

Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen esoterisch. Ist es aber nicht. Es geht einfach um Bewusstsein. Um die Erkenntnis, dass Dinge nicht nur Müll sind, wenn wir sie nicht mehr brauchen. Dass sie Wert haben. Dass sie Geschichten tragen.

Ein Kalender ist eben nicht nur bedrucktes Papier. Er ist ein Stück gelebtes Jahr. Er hat uns begleitet. War da an guten Tagen und an schlechten. Hat Termine festgehalten, Erinnerungen bewahrt, den Alltag strukturiert. Zwischen den Kästchen und Zahlen steckt mehr Leben, als man auf den ersten Blick sieht.

Seitdem sammeln wir die besonderen Kalender. Nicht alle – manche sind wirklich nur funktional und landen dann doch im Papier. Aber die mit schönen Bildern, die mit persönlichen Notizen, die, die besondere Jahre begleitet haben – die heben wir auf. In einem Regal im Arbeitszimmer liegt jetzt eine kleine Sammlung. Drei, vier Stück mittlerweile. Jeder davon ein anderes Jahr. Jeder mit seinen eigenen Geschichten.

Manchmal, an langweiligen Nachmittagen, blättere ich durch. Lese die alten Notizen. „Zahnarzt" und „Mama anrufen" und „Lenas Konzert nicht vergessen!". Kleine Fenster in die Vergangenheit. Scheinbar banal, aber irgendwie auch berührend. Weil sie zeigen: So haben wir gelebt. Das war unser Alltag. Das waren unsere Sorgen und Freuden.

Es gibt eine psychologische Studie – ich kann mich nicht mehr erinnern, von wem genau –, die zeigt, dass Menschen, die regelmäßig auf Vergangenes zurückblicken, zufriedener sind. Nicht im Sinne von „früher war alles besser", sondern im Sinne von: Ich sehe, wie viel ich erlebt habe. Wie viel passiert ist. Wie reich mein Leben war und ist. Diese alten Kalender erfüllen genau diese Funktion. Sie sind wie kleine Zeitkapseln. Unvollkommen, fragmentarisch, aber authentisch.

Neulich haben wir gemeinsam den Kalender von vor zwei Jahren durchgeblättert. Die Kinder waren fasziniert. „War ich da wirklich so klein?", fragte Lena, als sie eine ihrer Kritzeleien sah. „Ja", sagte ich, „warst du." Sie konnte es kaum glauben. Zwei Jahre – für Kinder eine Ewigkeit.

Wir lachten über alte Notizen. „Mama anrufen" stand da gefühlt hundert Mal. „Hab ich sie wirklich so oft vergessen?", fragte ich schuldbewusst. Markus grinste. „Immer."

Es war ein schöner Moment. Gemeinsam zurückschauen. Sich erinnern. Lachen über Dinge, die damals vielleicht stressig waren, aber jetzt nur noch amüsant wirken.

Das ist das Schöne an solchen Erinnerungsstücken. Sie geben Perspektive. Zeigen, dass alles vorübergeht. Die stressigen Phasen, die chaotischen Wochen, die übervollen Kalender – sie werden zu Geschichten. Zu etwas, worüber man später schmunzeln kann.

Mittlerweile fragen uns Freunde, was wir mit den alten Kalendern machen. Manche finden die Idee süß, andere verstehen sie nicht so ganz. „Wozu aufheben?", fragte eine Freundin. „Ist doch nur Papier."

Ja und nein. Es ist Papier. Aber es ist auch mehr. Es ist ein Stück Geschichte. Ein Stück von uns. Unperfekt, bunt, voller Leben.

Und genau das macht es wertvoll. Nicht im monetären Sinn – ein alter Kalender ist finanziell nichts wert. Aber im emotionalen, im persönlichen Sinn? Da ist er Gold wert. Weil er zeigt: Das war unser Jahr. So haben wir gelebt. Das waren wir.

Der neue Kalender hängt jetzt an der Wand. Januar ist fast vorbei, Februar steht bevor. Die weißen Kästchen unter den Tagen füllen sich langsam mit Notizen. „Elternabend", „Felix zum Fußball bringen", „Hochzeitstag!!!" – mit drei Ausrufezeichen, damit wir's nicht vergessen.

In elf Monaten wird auch dieser Kalender voll sein. Voller Termine, Erinnerungen, Kritzeleien. Und wenn dann Januar kommt und ich ihn von der Wand nehme? Dann werde ich wieder innehalten. Wieder durchblättern. Wieder überlegen, was wir damit machen.

Vielleicht werden Lena und Felix die schönsten Bilder aussuchen. Vielleicht bastelt Markus wieder Geschenkanhänger. Vielleicht klebe ich wieder Ausschnitte in mein Notizbuch. Oder wir finden eine ganz neue Idee. Mal sehen.

Das Einzige, was sicher ist: Dieser Kalender wird nicht einfach so im Papier landen. Nicht mehr. Weil wir gelernt haben, was er wirklich ist. Nicht nur ein Hilfsmittel zum Planen. Sondern ein Begleiter. Ein Zeuge. Ein Stück gelebtes Jahr.

Und das ist zu schade, um es einfach wegzuwerfen.